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  • AutorenbildBijan Khadem-Missagh

Von der Wirkung der Musik


In der digitalen Zeit ist der Zugang zur Musik aller Stile und Kulturen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Ist dies die Chance zur Bereicherung und Entwicklung oder nur Konsum und Zeitvertreib?


Musik wird als Sprache weitergegeben wie das gesprochene Wort

Es war Ende der 1920er-Jahre, als der damals 13-jährige Yehudi Menuhin sein erstes Konzert in Berlin gab. Unter Bruno Walter spielte er die großen Violinkonzerte von Beethoven und Brahms und errang einen sensationellen Erfolg. Als er am Ende des vielumjubelten Konzerts in das Künstlerzimmer trat, befand sich dort ein kleiner älterer Mann mit dicker Brille und langen Haaren. Der strich Yehudi über den Kopf und sagte: „Mein lieber junger Freund, Deine Kunst hat mir mehr als alle Wissenschaft bewiesen, dass es einen Gott gibt.“ Der Mann hieß Albert Einstein.


In der Menschheitsgeschichte stand Musik stets in Verbindung mit dem Mystischen und Religiösen, ebenso wie sie Ausdruck von Glück und Freude war. Um ihr volles Potential ausschöpfen zu können, bedarf es jedoch eines Mindestmaßes an Ausbildung. In der Musikgeschichte gibt es viele Beispiele für die Weitergabe von Talent und Begeisterung über Generationen hinweg, wie es beispielsweise auch in der Familie Mozart der Fall war.


Musik als Sprache


Die Bedeutung der Weitergabe von Fähigkeiten ist in kultureller Hinsicht nicht hoch genug einzuschätzen, wenn wir davon ausgehen, dass wir eine stets fortschreitende Kultur voranzutragen haben.


„Helft mir Musik zu machen, die meine eigene Seele entflammt! Wenn die Musik mich selbst nicht völlig erfasst, im Körper und im Geist, wie kann ich jemals hoffen, damit andere zu beglücken?“ So habe ich es gegenüber meinen hochbegabten jungen Studierenden ausgedrückt.


Musik wird als Sprache genauso weitergegeben wie das gesprochene Wort. Das Gehörte aufzunehmen und wiederzugeben braucht Wiederholung, Verinnerlichung und Übung. Der japanische Meister Shin'ichi Suzuki, der die Musikerziehung im 20. Jahrhundert in Japan revolutionierte, betitelt sein Buch mit „Erziehung ist Liebe“ und erläutert die Parallelen zwischen dem Erlernen eines Musikinstrumentes und dem Erlernen einer Sprache.


Musik als Nahrung


Musik ist aber auch „Nahrung für die Seele“, wie es Abdu'l-Baha, Sohn des Stifters der Baha'i-Religion, formuliert:

Musik ist eine göttliche Kunst und hat große Wirkung. Sie ist Nahrung für Seele und Geist. Die Macht und Anmut der Musik erhebt den Geist des Menschen. Sie hat wundersame Gewalt und Wirkung auf die Herzen der Kinder, denn ihre Herzen sind rein und Melodien bewegen sie sehr. Die verborgenen Talente, die in den Herzen dieser Kinder schlummern, werden durch das Mittel der Musik Ausdruck finden. Darum müsst ihr alles tun, um sie auszubilden. Lehrt sie, schön und wirkungsvoll zu singen. Jedes Kind sollte einige Kenntnis von Musik haben, denn ohne Kenntnis dieser Kunst kann man gespielte oder gesungene Musik nicht richtig genießen. Auch ist es notwendig, dass die Schulen Musikunterricht erteilen, damit Herzen und Seelen der Schüler belebt und heiter werden und Freude ihr Leben erhellt.

Nahrung kann aber nur wirkungsvoll aufnehmen und verdauen, wer zuvor hungrig war. Auf die Musik übertragen bedeutet dies, die Kunst der Pausen zu verstehen und zu respektieren. Das bewusste Zuhören ist genauso wichtig wie die Zeiten der Stille und des meditativen Nachdenkens und Nachfühlens.


Die Heiligen Schriften der meisten Religionen enthalten Stellen über Musik und das Singen von heiligen Versen.


Musik als Leiter


Baha'u'llah, der Stifter der Baha'i-Religion, hat im „Kitab-i-Aqdas“, dem Heiligsten Buch, die Musik als eine Leiter beschrieben:

Wir haben wahrlich die Musik zu einer Leiter für Eure Seelen gemacht, zu einem Mittel für ihren Aufschwung in das Reich der Höhe.

In vielen religiösen Traditionen wurden und werden Heilige Texte gesungen, denn das Singen ist eine höhere Ebene der Sprache. Es verbindet nicht nur die Menschen untereinander, es erhebt die Seelen und lässt sie mit der geistigen Welt in Beziehung treten. So beschreibt es Baha'u'llah:

Singe die Verse Gottes, … die du empfangen hast, wie jene sie singen, die Ihm nahe sind, damit die Süße deiner Weise deine eigene Seele entflamme und die Herzen aller Menschen anziehe.

Musik stärkt Gefühle und Emotionen


Musik ist eine nonverbale Sprache, die erlernt werden muss, damit ihre Wirkung sich in uns entfalten kann, denn unsere Hörgewohnheiten und die Auseinandersetzung mit der Musik sind ausschlaggebend für unser Verständnis.


Da die Gedanken und Vorstellungen den inneren Zustand und die Handlungen beeinflussen, kann Musik jedoch nur das verstärken, was in uns vorhanden ist. So wird die schönste Musik uns nicht zum besseren Menschen machen können, wenn wir hasserfüllt oder aggressiv sind. Ganz im Gegenteil. Sie wird uns in unserem negativen Verhalten bestärken. Dies ist der Grund für den Missbrauch von Musik in Kriegen. Beispielsweise wurden in beiden Weltkriegen in Deutschland nicht nur aggressive Marschmusik-Rhythmen eingesetzt, sondern sogar Werke von Beethoven, Liszt oder Wagner für Propaganda-Zwecke missbraucht.


Wenn wir jedoch Gutes im Sinn haben, kann uns Musik unterstützen, das Richtige zu tun. Daher sollten wir den Hintergrund unseres Denkens erforschen.


„Die Sonne der Wahrheit“


Wie die Sonne mit ihren Strahlen Wärme und Licht für das Wachstum des Lebens auf der Erde bereitstellt, so befruchten die geistigen Aussagen in den Heiligen Schriften der Weltreligionen unsere Gedanken und unseren inneren Zustand.


Die Sonne der Wahrheit ist das Wort Gottes, von dem die Erziehung des Menschen im Reich der Gedanken abhängig ist.

Baha'u'llah, Worte der Weisheit


Was im Menschenherzen ruht, wird durch Melodie berührt und wachgerufen. Treffen ein Herz voll guter Gefühle und eine reine Stimme zusammen, so entsteht eine große Wirkung. Ist etwa Liebe im Herzen, wird sie durch die Melodie wachsen bis sie kaum noch zu ertragen ist; nisten aber böse Gedanken im Herzen, wie Hass, so wird auch er zunehmen und sich vervielfachen. So erweckt zum Beispiel Kriegsmusik die Lust am Töten. Das heißt, die Melodie steigert die Gefühle, die im Herzen wohnen.
Manche Gefühle stellen sich zufällig ein, manche haben einen Grund. Manche Menschen sind zum Beispiel von Natur aus freundlich, können aber einmal durch Aufwallung von Zorn aus der Fassung geraten. Wenn sie aber Musik hören, wird sich ihre wahre Natur wieder durchsetzen. Musik erweckt wirklich die wahre, ursprüngliche Natur, das individuelle Wesen.
Musik verstärkt die Absicht, mit der man sie hört. Wird zum Beispiel ein Konzert für die Armen und Bedürftigen gegeben, und ihr besucht es und denkt an den Zweck des Konzerts, so wird die Musik Mitleid und Freigebigkeit bei euch steigern. Aus diesem Grund wird die Musik auch im Krieg verwendet. Und so ist es mit allem, was die Nerven reizt. Aber die Hauptwirkung wird durch das Wort Gottes verursacht, und wenn Worte mit einer schönen Melodie verbunden sind, entsteht vollkommene Harmonie.

 

Bijan Khadem-Missagh ist Violinist, Dirigent, Komponist, Autor, Gründer und langjähriger künstlerischer Leiter des Festivals Allegro Vivo, Gründer und Ehrenpräsident von GLOBART, Internationale Konzerttätigkeit, Widmungsträger zahlreicher Kompositionen zeitgenössischer Komponisten, Träger von Auszeichnungen der Republik Österreich, dem Land Niederösterreich, der Universität von Musik und darstellende Kunst Wien, langjähriger erster Konzertmeister des Tonkünstlerorchesters.

Foto von Redaktion

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