top of page
  • AutorenbildFerah Aksoy-Burkert

Frieden – was hat er mit mir zu tun?


Nahe der portugiesischen Stadt Albufeira sitze ich in einem Hotel bei einer Friseurin. Wir tauschen uns darüber aus, wer woher kommt. Sie erzählt wehmütig, dass sie bis zum 18. Lebensjahr in Deutschland gelebt habe. Auf Wunsch des Vaters sei die Familie nach Portugal zurückgekehrt. Sie wäre gerne in Deutschland geblieben, bestimmt wäre ihr Leben dann einfacher gewesen. Nun lebe sie hier und mache das Beste daraus.


Der Friede muss zuerst unter den einzelnen Menschen gestiftet werden, bis er schließlich zum Frieden unter den Nationen führt

Plötzlich hat die ca. 50-jährige Sorgenfalten auf der Stirn und sagt: „Ich verstehe das nicht – überall auf der Welt geht es drunter und drüber, aber warum? Warum können wir nicht einfach in Frieden miteinander leben? Aber wir können ja sowieso nichts machen, die Politiker machen eh, was sie wollen“. Im weiteren Verlauf dieses bereichernden Gespräches stellten wir fest:


Frieden – das Thema berührt uns alle


Unabhängig von unserem Wohnort ist das Thema Frieden heute aktueller denn je, auch in Europa. Bei vielen lösen Geschehnisse wie der Ukrainekrieg, der Klimawandel – also die vielfältigen gegenwärtigen Unsicherheiten und Bedrohungen – Ängste aus. Maria, die Friseurin an der Algarve, ist keine Ausnahme.


Viele meiner Freunde und Bekannten beschäftigen sich mit der Schuldfrage im Ukrainekrieg. Wer greift an, wer wird angegriffen? Ist dieser Krieg „gerecht“ – gibt es das überhaupt? Welche Verantwortung tragen Politiker bei der Wahrung und Wiederherstellung des Friedens? Diese Diskussion, so interessant sie am Anfang erschien, führte jedoch zu der Überzeugung, dass wir die Geschehnisse in der Ukraine nicht direkt beeinflussen können.


Für mich ergab sich daraus allerdings die spannende Frage: Gibt es eine Wechselbeziehung zwischen persönlichem inneren Frieden und dem globalen Frieden? Wäre es möglich, dass der äußere Frieden ein Spiegelbild des inneren Friedens des Menschen sein könnte?


Damit möchte ich keineswegs behaupten, dass wir mit innerem Frieden sogleich die Probleme auf der Welt lösen könnten! Ein nachhaltiger globaler Frieden bedarf selbstverständlich der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den bestehenden politischen Strukturen. Er kann nur dann erreicht werden, wenn die Gemeinschaft aller Völker einen Beschluss fasst, der den Umgang mit Friedensverletzungen für alle völkerrechtlich verbindlich regelt.


Aber auch wenn die umfassende politische Lösung eine Voraussetzung für dauerhaften Frieden ist – es geht nicht ohne die persönliche Ebene.


Daher lohnt es sich, einmal den Blick auf uns selbst zu richten. Wäre es vorstellbar, dass der Weltfrieden sich aus der Summe der Gedanken und Einstellungen friedliebender Menschen ergibt? Das mag zunächst allzu einfach erscheinen, aber vielleicht können wir dem etwas abgewinnen und diesen Gedanken weiterentwickeln. Schließlich bilden Einzelne mit ihren Familien und ihrer Nachbarschaft die kleinsten Zellen der Gesellschaft, ihren Kern. Dadurch können sie einen positiven Einfluss ausüben. Die folgende chinesische Weisheit bringt es auf den Punkt:


Willst du das Land in Ordnung bringen,
 so musst du zuerst die Provinzen in Ordnung bringen. Willst du die Provinzen in Ordnung bringen,
 so musst du zuerst die Städte in Ordnung bringen. Willst du die Städte in Ordnung bringen,
 so musst du zuerst die Familien in Ordnung bringen. Willst Du die Familien in Ordnung bringen,
 so musst du zuerst dich selbst in Ordnung bringen.

Diese Weisheit geht auf den chinesischen Philosophen Konfuzius zurück. Er schrieb:


Wenn die Familie in Ordnung ist, wird der Staat in Ordnung sein; wenn der Staat in Ordnung ist, wird die große Gemeinschaft der Menschen in Frieden leben.

Einstellung und Handeln werden vom Menschenbild beeinflusst


Wie aber bringen wir uns selbst in Ordnung? Bei der Beantwortung dieser Frage kann helfen, sich mit unserem Selbstverständnis als Menschen zu beschäftigen. Die Auffassung dessen, was den Menschen vom Tier und der Pflanze unterscheidet, hat sich im Lauf der Geschichte immer wieder gewandelt. Das Menschenbild und somit auch das Selbstverständnis des Menschen wurden von religiösen, politischen, wirtschaftlichen und anderen Impulsen geprägt. Dabei konkurrierten Menschenbilder häufig miteinander, was Spannungen erzeugte.


Während man in der Antike den Menschen als fremdbestimmt und sein Handeln von Gott gelenkt glaubte, geht der moderne Mensch von der Selbstbestimmtheit seiner Handlungen aus. Heute nimmt man an, alles im Griff zu haben und „des eigenen Glückes Schmied“ zu sein. Es wird als große Errungenschaft angesehen, sich von Gott unabhängig gemacht zu haben. Wissenschaftlicher Fortschritt wird als Resultat menschlichen Bemühens und Wirkens betrachtet.


Thesen wie „nur der Stärkste überlebt“ prägen das heutige Selbstverständnis des Menschen und befeuern das Konkurrenzdenken. Obwohl viele Menschen sich nach Weltfrieden sehnen, wird die Gesellschaft daher von zwei Überzeugungen beherrscht: Der Mensch sei nur auf sein Ego bedacht und die Neigung zu aggressivem Verhalten sei angeboren. Das darf hinterfragt werden:


Bei sachlicher Prüfung erweist es sich, dass jene Haltung keineswegs des Menschen wahres Wesen ausdrückt, sondern ein Zerrbild des menschlichen Geistes darstellt. Hiervon überzeugt, werden alle Menschen in der Lage sein, konstruktive gesellschaftliche Kräfte in Bewegung zu setzen, stehen diese doch im Einklang mit der menschlichen Natur und fördern Eintracht und Zusammenarbeit statt Krieg und Konflikt.
Universalen Hauses der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens

Die Baha'i-Schriften zeichnen ein positives Menschenbild. Die Bestimmung des Menschen ist demnach, zu Frieden und Wohlfahrt der Gesellschaft beizutragen. Dabei helfen ihm sein Verstand und freier Wille. Er ist gehalten, auf Wohlfahrt und Frieden ausgerichtete Fähigkeiten zu entwickeln. Das fördert die Zusammenarbeit in der Gesellschaft. Dagegen trägt alles, was sich nur am eigenen Vorteil orientiert, zu Unruhe und Uneinigkeit bei.


Der Friede muss zuerst unter den einzelnen Menschen gestiftet werden, bis er schließlich zum Frieden unter den Nationen führt. … Strebt deshalb mit ganzer Kraft danach, durch die Macht des Gotteswortes echte Liebe, geistige Gemeinschaft und dauerhafte Bande zwischen den Menschen zu schaffen. Das ist eure Aufgabe.

Im Ego verstrickt – mein innerer Unfrieden


Unser Menschenbild formt maßgeblich unsere Einstellung zu uns selbst und unser Selbstwertgefühl. Dabei ist es egal, ob wir uns dieses Menschenbildes bewusst sind oder nicht. Schon in den ersten beiden Lebensjahren wird die Grundlage hierfür von den Bezugspersonen gelegt.


Wird die Liebe zu einem Kind an Bedingungen geknüpft, wird es sich im Erwachsenenalter kaum um seiner selbst willen geliebt fühlen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Worte „du wirst nur geliebt, wenn ...“ ausgesprochen wurden oder nicht. Ob gehört oder erlebt, der Lerneffekt bleibt gleich: Dieser Mensch glaubt, lediglich dann liebenswert zu sein oder geliebt werden zu können, wenn er irgendwelche Bedingungen erfüllt.


Es gäbe noch so viel zu hinterfragen. Zum Beispiel, welchen Einfluss eine Schulkultur hat, die Konkurrenz mehr fördert als Kooperation. Was bedeutet das für unser Selbstverständnis und dem Umgang mit anderen? Das bringt mich immer wieder zum Nachdenken.


Plagen uns nicht alle manchmal Selbstzweifel? Beschäftigen wir uns nicht allzu oft mit unseren Unzulänglichkeiten? In meinem beruflichen und privaten Alltag treffe ich immer wieder Menschen, die nur das „halb leere Glas“ sehen und unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden.


Diese Menschen haben ständig das Gefühl, weder für sich noch andere gut genug zu sein. Sie schlagen sich mit Selbstoptimierung herum und jagen dem Wunsch nach Anerkennung von außen nach. Sie kämpfen darum, die Maßstäbe einer auf Perfektion ausgerichteten Gesellschaft zu erfüllen. Maximen wie „hast du was, bist du was“ oder „nur, wenn du was leistest, bist du was“ bestimmen ihr Leben. Wenn sie ihr ihr Ziel erreichen, sind sie vielleicht für wenige Momente zufrieden, aber sogleich taucht die nächste Anforderung vor ihrem inneren Auge auf. Sie stecken fest in einer nur zu bekannten Unzufriedenheitsspirale.


Manche werden dadurch so entmutigt, dass sie jeglichen Glauben an ihre eigenen Fähigkeiten verlieren und mit Resignation und Rückzug reagieren.


Daneben gibt es auch Menschen, die zwar sehr selbstbewusst wirken, aber unter ihrer Selbstüberschätzung leiden. Sie stellen sich gerne in den Mittelpunkt. Wenn dann aber die erwartete Anerkennung ausbleibt, neigen sie dazu, die anderen abzuwerten oder zu beneiden. Die Beziehungsmuster, die sich aus solchem Verhalten ergeben, können Unfrieden erzeugen.


Schon diese kurzen Beschreibungen verdeutlichen, wie vielfältig und weitreichend unser innerer Zustand unseren Umgang mit anderen steuert - im Kleinen wie im Großen.


Das Wesen des Menschen ist in Wirklichkeit jedoch erheblich besser, als viele wahrnehmen. Die Baha'i-Schriften gehen ausführlich darauf ein, beispielsweise hier:


Reich erschuf Ich dich, warum machst du dich selbst arm? Edel erschuf Ich dich, warum erniedrigst du dich selbst? Aus dem Wesen des Wissens gab Ich dir Leben, warum suchst du Erleuchtung bei anderen als Mir? Aus dem Ton der Liebe formte Ich dich, warum befasst du dich mit anderem? Schaue in dich, dass du Mich in dir findest, mächtig, stark und selbstbestehend.

Es lohnt sich, in Ruhe über dieses positive Menschenbild nachzudenken. In mir verändert sich etwas, wenn ich mich als von Gott erschaffenes, edles Wesen verstehe, das mit wertvollen geistigen Fähigkeiten ausgestattet ist. In diesem Licht kann ich eine zuvor negative Einstellung zu mir selbst positiv umgestalten.


Daraus kann sich ein Prozess entwickeln: Die positive innere Einstellung bereitet den fruchtbaren Boden für innere Ruhe. Diese innere Ruhe schafft den Raum, in dem sich neue Gedanken formen können. Diese neuen Gedanken führen zu frischem Handeln - womit ich tatkräftig zum Gedeihen der Welt und meiner selbst beitragen kann.


Der Frieden erwächst dem Wesen nach aus einem inneren Zustand, getragen von einer geistigen oder ethischen Einstellung ...
Universalen Hauses der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens

Auf dem Weg zum inneren Frieden – was kann ich tun?


Wenn ich in mir Frieden schaffe, brauche ich nicht schlecht über andere zu sprechen oder sie abzuwerten. Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin, freue ich mich mit anderen über ihre Erfolge. Wenn ich mich nicht für etwas Besseres halte, höre ich anderen aufmerksamer zu. Wenn ich weiß, dass auch andere über wertvolle Fähigkeiten verfügen, möchte ich von ihnen lernen. Wenn ich überzeugt bin, dass ein anderer etwas Wertvolles beizutragen hat, habe ich das Bedürfnis, mit ihm zusammenzuarbeiten.


So können wir Friedensimpulse ausstrahlen und im eigenen Umfeld ebenso wie im weiteren Umkreis Beiträge leisten. Wenn wir diese Einstellungsänderung dazu noch mit einem praktischen Einsatz verbinden, kommen wir einen großen Schritt in die richtige Richtung voran. Beispielsweise können wir im Alltag darauf achten, umweltschonend einzukaufen oder uns in sozialen Initiativen einbringen oder uns um das friedliche Zusammenleben in unserer eigenen Familie bemühen.


Der Schlüssel zu alldem ist die Erkenntnis, dass ich als Mensch im Kern GUT bin. Zu welcher Wirkung sich der Mensch idealerweise entfalten kann, fasst das abschließende Zitat zusammen:


... Ehre und Würde des Einzelnen liegen darin, dass er inmitten aller Völker zu einer Quelle gesellschaftlichen Wohles wird. Gibt es eine größere Gnade als die, dass ein Mensch, wenn er in sich geht, feststellen darf, dass er, durch göttliche Gunst bestätigt, die Ursache für Frieden und Wohlergehen, Glück und Nutzen unter seinen Mitmenschen wurde? Nein, bei dem einen wahren Gott! Es gibt keine größere Freude, kein vollkommeneres Glück.

 

Ferah Aksoy-Burkert ist Diplom Psychologin und Psychotherapeutin sowie Coach und Trainerin für Resilienz und Persönlichkeitsentwicklung mit eigener Praxis im Saarland. Akkreditiert im Programm „UnternehmensWert:Mensch“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales begleitet sie Unternehmen in Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement, Diversität und wertschätzendes Miteinander in Betrieben. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und zwei Stiefkinder.

bottom of page