Das Geheimnis des Wohlstands: Die Arbeitsethik der Baha'i
- Christopher Buck
- 6. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Vielen ist bestimmt schon die protestantische Arbeitsethik in der Abhandlung „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ des Soziologen Max Weber begegnet, der den Puritanismus mit dem modernen Kapitalismus verknüpft. Auch in den Baha'i-Schriften lassen sich hierzu einige grundlegende Anhaltspunkte finden.

Die Arbeitsethik der Baha'i, wie ich sie verstehe, besteht aus drei wichtigen Elementen:
Unabhängigkeit – Erwerb und Ausübung einer selbsttragenden Lebensgrundlage
Exzellenz – das Streben nach einem hohen Standard an Fachkenntnissen und handwerklicher Qualität bei der Ausübung des eigenen Berufs
Dienst – die Ausübung von Arbeit als Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit zu sehen.
Betrachten wir hierzu einen Auszug aus den Baha'i-Schriften:
Er (Baha'u'llah) lehrt, dass es die Pflicht eines jeden Menschen ist, ein nutzbringendes Gewerbe, Handwerk oder einen Beruf zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu erlernen. Diese Arbeit sollte als Gottesdienst angesehen werden.
Die Lehren Baha'u'llahs sind grenzenlos und ihr weitreichender, segensreicher Nutzen für die Menschheit kennt kein Ende. Sinn und Zweck unserer heutigen Ausführungen ist, zu zeigen, dass sie neu und in keinem der religiösen Bücher der Vergangenheit zu finden sind.
Authorisierte, aber noch nicht veröffentlichte Übersetzung einer Ansprache Abdu'l-Bahas vom 15. November 1912
Drei Schlüsselelemente finden sich in dieser Arbeitsethik:
Unabhängigkeit
In einer anderen Schrift findet sich eine Reihe spiritueller, moralischer und anderer praktischer Grundsätze wie die Pflicht seinen Lebensunterhalt zu verdienen (sofern dies möglich ist, Anm. der Redaktion):
Wahre Zuversicht ist für den Diener, seinen beruflichen Pflichten in dieser Welt nachzugehen, sich fest an den Herrn zu halten und nur Seine Gnade zu suchen; denn in Seinen Händen liegen die Geschicke aller Seiner Diener.
Baha'u'llah, Botschaften aus Akka
Unter „wahrer Zuversicht“ kann hier „Selbstständigkeit“ verstanden werden, die oft so verstanden wird: „Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen statt auf die anderer; Unabhängigkeit, Selbstversorgung.“
In einer anderen Baha'i-Schrift wird Arbeit in den Rang des Gottesdienstes erhoben:
Jedem von euch ist es zur Pflicht gemacht, sich in einem Beruf – einem Handwerk, Gewerbe und dergleichen – zu betätigen. Wir haben eure Tätigkeit bei solcher Arbeit gnädiglich zum Rang des Dienstes an Gott, dem Wahren, erhoben. Denkt in euren Herzen über die Gnade und den Segen Gottes nach und sagt Ihm Dank des Abends und des Morgens. Vergeudet eure Zeit nicht mit Faulheit und Müßiggang. Beschäftigt euch mit dem, was euch und anderen nützt. So ist es verordnet in diesem Sendschreiben, von dessen Horizont die Sonne der Weisheit und des Wortes widerstrahlt.
Baha'u'llah, Botschaften aus Akka
Mit anderen Worten: Der Lebensunterhalt wird nun zu einem heiligen Unterfangen mit spirituellem und sozialem Wert – vielleicht sogar aufgrund seines sozialen Wertes als heilig angesehen. In den Baha'i-Schriften gilt das Streben nach dem eigenen Lebensunterhalt als Anbetung Gottes, nicht nur, weil es sich selbst trägt – und damit die Tugend des „wahren Vertrauens“ verkörpert –, sondern auch, weil es dem Wohl und Wohlergehen anderer dient und nicht zwangsläufig auf Kapital oder persönlichen Gewinn abzielt.
Exzellenz
Seinen Lebensunterhalt durch die Ausübung seines Berufs zu verdienen, hat nicht nur einen inneren Wert, sondern trägt potentiell und idealerweise auch zur Schönheit und Vollkommenheit der Gesellschaft bei:
O du Diener des einen wahren Gottes! In dieser allumfassenden Sendung wird des Menschen wundersame Kunstfertigkeit als Anbetung der Strahlenden Schönheit gewertet. Bedenke, welche Gabe, welchen Segen es bedeutet, dass Handwerk als Gottesdienst gilt. Früher glaubte man, solche Fähigkeiten seien gleichbedeutend mit Unwissenheit oder gar ein Unglück, weil sie den Menschen daran hindern, Gott näherzukommen. Nun überlege, wie Seine unendlichen Gnadengaben, Seine reichen Segnungen das Höllenfeuer in ein glückseliges Paradies, einen Haufen grauen Staub in einen leuchtenden Garten verwandelten.
Den Künstlern und Handwerkern dieser Welt geziemt es, in jedem Augenblick an der Heiligen Schwelle tausend Beweise der Dankbarkeit darzubringen, sich größte Mühe zu geben und fleißig ihrem Beruf nachzugehen, so dass aus ihrem Bemühen erstehe, was vor den Augen aller Menschen die höchste Schönheit und Vollkommenheit offenbar werden lässt.
Abdu'l-Baha, Briefe und Botschaften
Unabhängigkeit und Exzellenz verleihen der Arbeit den Rang des Gottesdienstes.
Dienst
Das demokratisch gewählte globale Führungsgremium der Baha'i, schrieb 2017:
In der Tat ist der Dienst am Nächsten und an der Gesellschaft ein Kennzeichen des Baha'i Lebens.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Botschaft vom 2017-04-27
Dies schließt den Dienst an anderen auch im Berufsleben und in der Freizeit ein. Dienst ist von so überragender Bedeutung, dass Baha'u'llah schrieb:
Der ist wirklich ein Mensch, der sich heute dem Dienst am ganzen Menschengeschlecht hingibt. Das Höchste Wesen spricht: Selig und glücklich ist, wer sich erhebt, dem Wohle aller Völker und Geschlechter der Erde zu dienen.
Baha'u'llah, Ährenlese
Die Arbeit in dieser Wertehierarchie ist so wichtig, dass die letzten drei verborgenen Worte Baha'u'llahs erklären:
O Meine Diener! Ihr seid die Bäume Meines Gartens. Ihr müsst edle, köstliche Früchte tragen, euch und anderen zum Nutzen. Darum soll sich jeder einem Gewerbe oder einem Beruf widmen, denn darin liegt das Geheimnis des Wohlstandes, o ihr Einsichtigen! Der Erfolg hängt von den Mitteln ab, und Gottes Gnade soll euch allgenügend sein. Bäume, die keine Frucht tragen, waren seit je fürs Feuer bestimmt und werden es allezeit sein.
O Mein Diener! Am verächtlichsten ist, wer keine Frucht bringt auf Erden. Solche Menschen werden wahrlich zu den Toten gezählt, ja, die Toten sind besser vor Gott als diese trägen, nichtsnutzigen Seelen.
O Meine Diener! Die besten Menschen sind jene, die sich den Unterhalt durch ihren Beruf verdienen und ihn für sich und ihre Angehörigen verwenden in der Liebe zu Gott, dem Herrn aller Welten.
Baha'u'llah, Verborgene Worte, Persisch
Diese Prinzipien können auch als soziomoralische Kräfte gesehen werden, die „die Zukunft schreiben“. Wenn diese Arbeitsethik in der Welt umgesetzt werden kann, wird sie für die Menschheit Großes leisten.
Dies ist nach den Baha'i-Lehren das wahre „Geheimnis des Wohlstands“ : das wirtschaftliche, spirituelle und soziale Wohlergehen.
Christopher Buck (Ph.D., University of Toronto, 1996; JD, Thomas M. Cooley Law School, 2006) ist Rechtsanwalt (Pittsburgh), unabhängiger Wissenschaftler, Dozent am Wilmette Institute (2001–heute, Abteilung für Geschichte und Texte der Baha'i, Fernstudium) und ehemaliger Professor an der Michigan State University (2000–2004, Gastassistent... mehr
Dieser Artikel erschien im Original auf bahaiteachings.org und wurde von der Redaktion geringfügig geändert.
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