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  • AutorenbildSören Rekel-Bludau

Was mein Ja zu Baha'u'llah für mein Ja zu Jesus bedeutet

Wer konvertiert, dem wird meist unterstellt, dass er sich von seinem früheren Glauben abgewandt hat. Bei mir war das anders.


Kerzen zum Anlass der Erklärung des Glaubens an Baha'u'llah

Es war ein besonders symbolträchtiger Moment in meinem Leben. Familie und Freunde saßen im Stuhlkreis in unserem Wohnzimmer, ein kleines Heft mit Andachtstexten auf dem Schoß. In der Mitte stand ein Tisch, darauf eine ausgefüllte Karte und zwei brennende Kerzen. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt, seit ich mich als Baha'i erklärt habe, und wird mich dauerhaft begleiten.


Im Kern besteht die Baha'i-Erklärung aus zwei Elementen: der inneren Überzeugung, dass Baha'u'llah der Gottesbote für unser Zeitalter ist und dem Beitritt zur Baha'i-Gemeinde. Die Kerzen und die Andacht waren meine eigene Idee, denn in der Baha'i-Religion gibt es kein Ritual zum Beitritt. Man kann ihn frei gestalten oder lediglich schriftlich erklären.


Die Andacht, zu der ich aus Anlass dieser Erklärung eingeladen hatte, sollte nicht einfach nur irgendein Treffen, sondern auch ein Bekenntnis sein: zu Baha'u'llah und zu Jesus Christus. Die Kerzen sollten das verdeutlichen. Eine davon war meine Konfirmationskerze, die ich mit 13 Jahren aus Überzeugung in der Kirche entzündet hatte. Die andere war eine selbst gebastelte ‚Erklärungskerze‘.


Zu Beginn der Andacht hatte ich zunächst die Konfirmationskerze angezündet. Erst zur Mitte hin, nachdem ich die Erklärungskarte unterschrieben hatte, steckte ich die ‚Erklärungskerze‛ an der Konfirmationskerze an, sodass für den Rest der Andacht beide parallel brannten. Für mich war das tatsächlich der entscheidende Moment und die Kerzen das Symbol, das ich dafür brauchte.


Es ging nicht darum, Jesus durch Baha'u'llah zu ersetzen; es ging auch nicht darum, Jesus von Baha'u'llah übertreffen zu lassen. Denn ohne meinen Glauben an Jesus Christus hätte ich nicht Baha'i werden können. Jesus ‚abzuschwören‘ wäre für mich nie infrage gekommen. Und so brachten die beiden brennenden Kerzen in diesem Moment zum Ausdruck, was meinen Glauben als Baha'i im Kern ausmacht: „Wenn wir das Licht einer der Lampen annehmen, müssen wir an das Licht aller Lampen glauben.“ (Lady Blomfield, Abdu'l-Baha in London)


Tatsächlich hatte ich mir schon während meiner Konfirmandenzeit die Frage gestellt, nach welchen Kriterien ich als Christ ausschließen sollte, dass Gott sich der Menschheit auch auf anderem Wege als durch Jesus und die Propheten Israels mitgeteilt haben könnte. Ich beschäftigte mich einige Zeit intensiv mit dem Islam, las im Koran und erkannte vieles wieder, das ich so oder ähnlich auch in der Bibel fand.


Ich las von Barmherzigkeit, Nächstenliebe, einem verzeihenden Gott und dessen Liebe zu den Menschen, denen er immer wieder die Hand reichte. Wenn ich als Christ gemäß dem Grundsatz „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Matthäus, 7:16) urteilen sollte, dann lag für mich das Urteil auf der Hand: Es gab nichts, das ich dem göttlichen Anspruch Muhammads entgegenhalten konnte.


Was ließ mich aber davor zurückschrecken, mich daraufhin dem Islam anzuschließen? Es war die Vehemenz, mit der einige Muslime betonten, dass das christliche Verständnis der Person Jesu grundlegend falsch sei und darüber hinaus die Bibel eine Fälschung, erdichtet von Priestern, die ihre Macht absichern wollten. Auch der Absolutheitsanspruch, den muslimische Geistliche für Muhammad erhoben und dem Jesus völlig unterzuordnen sei, schreckte mich ab. Nein, meinen christlichen Glauben abzulegen, um den Vorstellungen der muslimischen Geistlichkeit zu folgen, kam für mich nicht infrage, denn darin konnte ich nicht mehr viel von dem erkennen, was mich an Muhammads Worten im Koran angesprochen hatte. Und die Früchte, die der christliche Glaube über die Jahrhunderte getragen hatte, waren zu süß, als dass ich ihn für falsch hätte halten können.


Als ich den Baha'i-Glauben kennenlernte und dabei in der ersten Zeit vor allem auf Texte stieß, die sich sehr intensiv und tiefgründig mit Jesus Christus und den Lehren des Christentums befassten, war das anders. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass Baha'u'llah, Abdu'l-Baha oder Shoghi Effendi mir meinen Glauben an Jesus madig machen wollten.


Im Gegenteil: Was ich las zeugte von einer so aufrichtigen Liebe, einem so tiefen Verständnis für das, was Jesus gelehrt hatte und von einem so klaren Blick auf das Wesentliche, dass ich nicht anders konnte, als mich dadurch in meinem christlichen Glauben sogar noch bestärkt zu sehen.


Auch mit Themen, mit denen ich selbst meine Probleme hatte – z.B. Trinität, Kreuzestod oder Auferstehung – konnten die Baha'i-Schriften mich endlich versöhnen. Meine Erfahrung entsprach ganz dem, was Shoghi Effendi einmal als Selbstanspruch für den Baha'i-Glauben formuliert hatte:


„Die Offenbarung, deren Quelle und Mittelpunkt Baha'u'llah ist, hebt keine der Religionen auf, die ihr vorangegangen sind, noch versucht sie im Geringsten, deren Wesenszüge zu verdrehen oder deren Wert herabzusetzen. Sie distanziert sich von jedem Vorhaben, Propheten der Vergangenheit in den Schatten zu stellen oder die ewige Wahrheit ihrer Lehren zu beschneiden. Mit dem Geist, der deren Anspruch beseelt, kann die Offenbarung Baha'u'llahs in keinerlei Konflikt geraten, noch sucht sie das Treuebekenntnis eines Menschen zu deren Sache zu untergraben. Ihr erklärtes, ihr vorrangiges Ziel ist es, jeden Anhänger dieser Bekenntnisse zu befähigen, ein umfassendes Verständnis für seine angestammte Religion und einen klareren Begriff vom Ziel derselben zu gewinnen. … Unzweideutig, ohne den geringsten Vorbehalt bekennt sie, dass alle anerkannten Religionen göttlich im Ursprung, identisch in ihren Zielen, einander ergänzend in ihren Aufgaben, kontinuierlich in ihrer Zielsetzung und unabdingbar in ihrem Wert für die Menschheit sind.“

Doch ist es nicht eigentlich widersinnig, fragte ich mich, dass der Stifter einer anderen Religion mich so sehr in meinem Glauben an den Offenbarer meiner (bisherigen) Religion bestärkt? Schließlich musste sein Ziel doch sein, mich in erster Linie von sich selbst zu überzeugen. Ich las also weiter in den Baha'i-Schriften und näherte mich langsam immer mehr dem eigentlichen Kern.


Ich lernte, dass es nicht darum gehen konnte, die Religionen gegeneinander auszuspielen, sondern diese im richtigen Verhältnis zueinander zu sehen, sodass sie sich in meinem Verständnis „ergänzen“ konnten und ich ihre „kontinuierliche Zielsetzung“ wahrnahm. Dies machte sich für mich besonders darin bemerkbar, dass ich in den Schriften Baha'u'llahs viel von konkreten Vorstellungen las, wie der Zustand dieser Welt verbessert werden könnte.


Baha'u'llah, so war mein Eindruck, reichte es nicht, dass die Menschen ausschließlich an sich selbst arbeiteten, es brauche auch Strukturen für die Gesellschaft, die garantieren könnten, dass das Erreichte nicht gleich wieder verloren ginge. Es brauche einen klaren Kompass und eine klare Vision der sozial wie politisch geeinten Menschheit. Eine so konkrete und detaillierte Vorstellung, wie die neue Welt zu bauen wäre, hatte ich im Neuen Testament nicht gefunden. Und genau dort setzen die Baha'i-Lehren an. Dort setzt auch der Anspruch Baha'u'llahs an:


„Die mit dem Glauben Jesu Christi verbundene Offenbarung richtete ihr Augenmerk in erster Linie auf die Erlösung des einzelnen Menschen und auf die Formung seines Betragens und betonte als ihre Hauptaufgabe die Notwendigkeit, dem Menschen, als der Grundeinheit der menschlichen Gesellschaft, ein hohes Maß von Sittlichkeit und Disziplin einzuprägen. Nirgends in den Evangelien finden wir einen Hinweis auf die Einheit der Nationen oder die Vereinigung der Menschheit insgesamt. Als Jesus zu denen sprach, die um ihn waren, redete er sie in erster Hinsicht als Einzelmenschen an, weniger als Bestandteil einer umfassenden, unteilbaren Einheit. Fast die ganze Erdoberfläche war noch unerforscht, und die Organisation aller ihrer Völker und Nationen zu einer Einheit konnte darum noch nicht ins Auge gefasst, geschweige denn verkündet oder errichtet werden. Welche andere Auslegung kann jenen Worten gegeben werden, mit denen Baha'u'llah im Besonderen die Anhänger des Evangeliums anredete, worin die grundsätzliche Unterscheidung zwischen der in erster Linie den Einzelmenschen betreffenden Sendung Jesu Christi und seiner eigenen, mehr und vor allem an die gesamte Menschheit gerichteten Botschaft genau festgestellt wird: ‚Wahrlich, er (Jesus) sagte: ‚Folget mir nach, und ich will euch zu Menschenfischern machen.‘ Am heutigen Tage jedoch sagen wir: ‚Folget mir nach, auf dass wir euch zu Lebensspendern der Menschheit machen.‘“

Mein Glaube an Jesus Christus hat durch den Glauben an Baha'u'llah nichts verloren. Ich musste ihn nicht aufgeben, nicht beschneiden und nicht unterordnen. Im Gegenteil, ich bin heute mehr mit zentralen Glaubensinhalten des Christentums im Reinen als vor meiner Baha'i-Erklärung; mein Verständnis hat sich vertieft.


Und ich habe enorm gewonnen: nicht nur eine neue Perspektive auf die Schriften und Lehren meines Ursprungsglaubens, sondern auch auf das, was möglich wird, wenn die Gottesboten nicht gegeneinander ausgespielt, nicht in Konkurrenz zueinander gestellt, sondern in ihrer Beziehung zueinander wahrgenommen werden.


„Die Lehren sind gleich … sie haben die gleiche Grundlage und entstammen dem gleichen Tempel. Es gibt nur eine ungeteilte Wahrheit. Die Lehren Jesu sind sehr konzentriert. Bis heute sind die Menschen sich über die Bedeutung vieler seiner Aussagen gar nicht einig. Seine Lehren sind wie eine in der Knospe verborgene Blüte. Heute entfaltet sich die Knospe zur Blüte! Baha'u'llah hat die Lehren erfüllt, sie erweitert und Punkt für Punkt auf die ganze Welt angewandt.“
Lady Blomfield, Abdu'l-Baha in London

Gewonnen hat mein Glaube dadurch auch eine Langzeitperspektive. Der christliche Glaube ist niemals abgeschlossen oder endgültig, er muss sich entwickeln, muss weitergeführt und weitergedacht werden. Baha'u'llah ist für mich der logische nächste Schritt, der Nachfolger Jesu, der dessen Weg konsequent weitergeht und mich als seinen Anhänger auf diesem Weg mit allem, was mich ausmacht, mitnimmt. Mehr kann ich mir für meinen Glauben nicht wünschen.


 

Sören Rekel-Bludau studierte Religionswissenschaft, Archäologie und Theologie in Göttingen und arbeitet derzeit beim Haus der Religionen in Hannover. Er lebt mit seiner vierköpfigen Familie in Hardegsen bei Göttingen.



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