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Wir alle haben hohe Ideale – aber leben wir sie auch?

  • Autorenbild: David Langness
    David Langness
  • vor 6 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
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Idealisten – Menschen, die edle Ideale haben, die sie in sich selbst und in der Welt verwirklichen möchten – werden im Leben sicherlich einige Enttäuschungen erleben. Wir idealisieren unsere Eltern, unsere Freunde, bestimmte Werte oder soziale Institutionen und stellen dann fest, dass diese Person oder Gruppe ihren Idealen nicht ganz gerecht wird.


Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Stattdessen entdecken wir Heuchelei, Betrug und Entmutigung. Menschen, die uns wichtig sind, werden ihren Idealen nicht gerecht, und wir verlieren den Glauben an sie. Schlimmer noch: Wir werden unseren eigenen Idealen nicht gerecht und enttäuschen uns selbst.


Das Unrecht in der Welt besteht gerade deshalb weiter, weil die Menschen lediglich von ihren Idealen reden und nicht auch trachten, sie in Taten umzusetzen. Würden Taten an die Stelle der Worte treten, so würde das Elend auf der Welt sehr bald in Wohlergehen verwandelt werden.
Abdu'l-Baha, Ansprachen in Paris

Diesen Prozess der Desillusionierung und des Verlusts von Idealismus erleben fast alle. Niemand ist davor gefeit. Wenn es passiert, stellt sich die Frage: „Wie bewahre ich meine eigenen Ideale angesichts so viel Täuschung, Heuchelei und Scheinheiligkeit?“


Wir alle werden Zeugen von Heuchelei – bei anderen und bei uns selbst – und müssen mit den Folgen leben. Ich habe als junger Mann viele dieser desillusionierenden Erfahrungen gemacht, aber eine ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Als Teenager war ich in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, schloss mich Organisationen an, nahm an Märschen und Demonstrationen teil, verteilte Flugblätter und hielt Versammlungen ab. Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen lagen mir sehr am Herzen, und ich wollte alles tun, um diese Ziele zu erreichen. Als naiver, idealistischer Aktivist der Bürgerrechtsbewegung traf ich viele Menschen, die ich bewunderte und denen ich nacheifern wollte. Besonders einer, ein bekannter Bürgerrechtler in meiner Stadt, wirkte mutig und engagiert – doch später erfuhr ich, dass er in Wirklichkeit ein verdeckter Ermittler des US-Geheimdienstes war, der die Menschen, die er getäuscht hatte, überwachte und Berichte über sie verfasste.


Dieses Wissen löste eine Gewissenskrise aus und ließ mich die Aufrichtigkeit und die Motive aller Menschen hinterfragen, denen ich in der Bewegung begegnet war. Eine Zeit lang fragte ich mich, ob mein Idealismus überleben kann.


Um diesen Idealismus zurückzugewinnen, musste ich schließlich meinen Fokus ändern und mich fragen, was ich dazu beitrage. Mir wurde klar, dass ich meine eigenen Ideale nicht auf die anderer stützen konnte. Meine Ideale mussten selbsttragend sein und nicht auf dem Engagement, der Begeisterung oder dem Charisma anderer – oder dem Fehlen derselben – beruhen. Ich musste zu meinem Idealismus stehen und danach handeln. Ich brauchte eine intrinsische, innere Motivation, unabhängig von anderen und ihren Motivationen.


Ich musste auch verstehen, dass mein eigener Idealismus – im Grunde eine glühende Hoffnung auf eine bessere Zukunft – nur dann in meiner Seele lebendig bleiben konnte, wenn ich ihn durch Taten nährte.


Ich stellte fest, dass ich nicht herumsitzen und mich beschweren konnte, wenn ich meine Ideale bewahren wollte. Ich konnte nicht zum Zyniker werden – obwohl diese bissige Haltung so verlockend schien. Ich konnte nicht über das mangelnde Engagement anderer, die tönernen Füße vieler, die schwachen Überzeugungen einiger meiner Kollegen oder die verärgerte Unzufriedenheit mancher Freunde meckern und jammern.


Stattdessen musste ich Bitterkeit und Sarkasmus sowie die Vorstellung, dass die Welt morgen irgendwie perfekt sein könnte, beiseiteschieben. Ich lernte, dass jede äußere soziale Veränderung und jede innere spirituelle Herausforderung eine Kombination aus zwei Dingen erfordert: Arbeit und Glauben.

Ich musste arbeiten, um Fortschritte zu erzielen und etwas zu bewirken. Und ich musste darauf vertrauen, dass meine Arbeit und die vieler anderer, die gemeinsam auf ein edles Ziel hinarbeiteten, zu einer besseren Zukunft führen würde. Die Baha'i-Gedanken lehrten mich dabei zwei wichtige Lektionen:


Wenn kein neuer Frühling erschiene, wie wirkte sich das auf diesen Planeten, die Erde, aus? Zweifellos verödete sie und alles Leben würde ausgelöscht. Die Erde braucht die jährliche Wiederkehr des Frühlings. Es ist notwendig, dass neuer Segen erscheint. Bliebe er aus, verginge alles Leben. Genauso benötigt auch die Geisteswelt neues Leben, die Verstandeswelt neue Einstellungen und Entwicklung, die Seelenwelt neuen Segen, die Welt der Moral Vervollkommnung und die Welt göttlichen Glanzes immer wieder neue Gaben. Ohne diese Auffrischung würde das Leben der Welt ausgelöscht und vernichtet werden.
Daher müssen die Gedanken erhaben und die Ideale hochgehalten werden, damit die Menschheit neue Reformen erleben kann. Wenn diese Reform alle Ebenen erfasst, wird der Tag des Herrn kommen, von dem alle Propheten gesprochen haben. An diesem Tag wird die ganze Welt erneuert.
Abdu'l-Baha, Promulgation of Universal Peace, (Übersetzung aus dem Englischen)

Der Baha’i-Glaube bietet der Menschheit neue Hoffnung und Idealismus, eine Botschaft des Optimismus, des Fortschritts und des Wandels – hin zu dem Tag, an dem das Wort „Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger“ Wirklichkeit wird. Die Baha'i glauben, dass darin das Heilmittel für unsere Leiden liegt. Wir müssen daran arbeiten und es dabei auch anwenden:


Jede Zeit hat ihr eigenes Problem, jede Seele ihre besondere Sehnsucht. Das Heilmittel, dessen die Welt in ihren heutigen Nöten bedarf, kann nicht das gleiche sein, das ein späteres Zeitalter erfordern mag. Befasst euch gründlich mit den Nöten der Zeit, in der ihr lebt, und legt den Schwerpunkt eurer Überlegungen auf ihre Bedürfnisse.
Baha'u'llah, Ährenlese


David Langness ist Journalist und Literaturkritiker. Er arbeitet für das Paste Magazine und schrieb viele Jahre für bahaiteachings.org neben seiner dortigen Rolle als Chefredakteur. Er lebt mit seiner Frau Teresa in Nordkalifornien/USA.


Dieser Artikel erschien im Original auf bahaiteachings.org und wurde von der Redaktion geringfügig geändert.


Photo by Markus Spiske on Unsplash



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