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  • AutorenbildDavid Langness

Spiritualität contra Pessimismus

In meiner Jugend hatte der Vater meines besten Freundes eine sehr dunkle, pessimistische Sicht der Zukunft. Offensichtlich war sein Leben schwierig gewesen, er hatte mit Hass, Schmerzen und Vorurteilen kämpfen müssen und mochte daher die Menschen nicht besonders.


Der Hoffnungslosigkeit mit Taten entgegentreten

Das Wort „Misanthrop“ habe ich erst später gelernt, aber seine Bedeutung, also jemand der alle Menschen hasst oder ihnen misstraut, passte ziemlich gut auf den Vater meines Freundes. Ich glaube, er litt heftig unter einem Gefühl fehlenden Lebenszusammenhanges oder „Diskontinuität“ (siehe dazu Überleben und Gedeihen im modernen Chaos) – die Welt entwickelte sich nicht so, wie sie es entsprechend seinen Erwartungen sollte. Menschen enttäuschten ihn immer.


Natürlich war ich damals noch ein Kind und Kinder sehen die Wirklichkeit normalerweise nicht so. Solange du jung bist, neigst du dazu, die Welt und die Menschen mit unschuldigeren und hoffnungsvolleren Augen zu betrachten. Junge Menschen sind für gewöhnlich natürliche Optimisten, außer wenn sie aus schwierigen Verhältnissen stammen.


Mit zunehmendem Alter jedoch, je mehr wir die unausweichlichen Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens bewältigen müssen, können wir verletzt, abgestumpft, zynisch und menschenfeindlich werden. Als kleiner Junge kam mir der Vater meines Freundes ziemlich befremdlich vor, doch als Erwachsener verstehe ich, wie und warum er zu dieser „Menschen-sind-verdammt-mies“-Philosphie gekommen war. Sie war die Folge der tiefen Not, die er erlitten, der Kriege, die er miterlebt und der weitverbreiteten Ungerechtigkeit, die er hatte mitansehen müssen. Er war ein sensibles Wesen und hatte sich deshalb hinter einen dicken Wall zurückgezogen, um sich zu schützen und alles abzuwehren, was ihn so quälte und immer weiter verhärten ließ.


Für seinen Pessimismus bezahlte er allerdings einen hohen Preis. Die Forschung hat erwiesen, dass Pessimisten ein höheres Risiko für Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen, hohen Blutdruck und Herzkrankheiten haben. Der Vater meines Freundes starb jung als Opfer einiger dieser Erkrankungen. Sein Herz gab schlicht auf. Sein Sohn sagte zu mir: „Mein Vater starb an Enttäuschung.“


An seinem Beispiel erkannte ich: Auf Erden entkommt niemand dem Leiden. Und ich fragte mich: Wie können wir die negativen Auswirkungen des Leidens auf unseren Charakter vermeiden? Was können wir tun, um den angeborenen Optimismus und die Zuversicht der Kindheit auch dann noch zu bewahren, nachdem wir die Trauer und den Schmerz erlebt haben, denen wir als Erwachsene zwangsläufig begegnen?


Über diese Fragen habe ich sehr lange nachgegrübelt. Jedesmal, wenn ich Erwachsenen begegne, die sich unversehrten Optimismus, Glücksgefühle und Hoffnung bewahrt haben, frage ich sie: „Woher kommt diese positive Lebenssicht? Was lässt Dich das Beste erhoffen und sogar erwarten?“ Die Ergebnisse meiner persönlichen „Umfrage“, die ich nun seit ein paar Jahrzehnten betreibe, haben mich überrascht.


Nachdem ich einige hundert Male diese Fragen gestellt habe, weiß ich nun, dass optimistische, glückliche, ausgeglichene Menschen zwei Kraftquellen benennen: Entweder sie haben für sich ein Glaubenssystem gefunden, das ihnen spirituellen Halt gibt; oder sie begegnen ihren pessimistischen Gefühlen mit Tatkraft. Manche, nämlich die glücklichsten und zufriedensten Erwachsenen, denen ich begegnet bin, nutzen beide.


1. Ein Glaubenssystem gefunden, das spirituellen Halt gibt


Wir Menschen sind die einzigen Wesen, die über ihre langfristige Zukunft nachdenken – und die ein klares Bewusstsein ihres körperlichen Todes haben. Dieses Bewusstsein unserer eigenen Sterblichkeit verändert uns. Der Existenzpsychologe und Autor Irvin Yalom schrieb: „ ... Unsere Existenz ist für immer von dem Wissen überschattet, dass wir wachsen, blühen und unweigerlich schrumpfen und sterben werden.“ (Übersetzung der Redaktion).


Psychologen nennen diese allgemeine Erkenntnis „Todesangst“ und viele glauben, diese liege allen Ängsten zugrunde. Rollo May, Psychologe und Autor von „Liebe und Wille“, sagte, dass jeder Mensch dem größten Zwiespalt des Lebens gegenüber steht: einen Sinn im Leben zu finden und gleichzeitig um den eigenen nahenden Tod zu wissen. Dieser grundlegende Zwiespalt führe manchmal zu dem, was er „negative Angst“ nennt, die das Leben behindert und einschränkt – oder aber, je nach unseren Überzeugungen, zu „positiver Angst“, die uns zu einem Leben voller Möglichkeiten und Sinn führe.


All das ist abhängig vom Glauben des Einzelnen über Leben und Tod.


Die Baha'i-Lehren fordern uns auf, den Tod als eine zweite Geburt anzusehen. Als den Übergang der menschlichen Seele aus der körperlichen Welt in eine ewige, geistig-spirituelle. Baha'u'llah, der Stifter der Baha'i-Religion, schrieb:


Das erste, leibliche Leben hat ein Ende, denn Gott spricht: »Jede Seele schmeckt den Tod.« Aber das zweite Leben, das aus der Erkenntnis Gottes entsteht, kennt keinen Tod ...

Wir können das Erdenleben als „höllisch“ empfinden, wie es zweifellos dem Vater meines Freundes ergangen ist. Aber letztlich ist unser Erleben von uns selbst abhängig. Unsere eigenen Ansichten, Handlungen und Einstellungen können uns das Leben zum Himmel oder zur Hölle machen.


2. Dem Pessimismus mit Taten begegnen


Wenn die Welt zu einer schrecklichen Last zu werden scheint, wenn Kriege, Krankheiten und Umweltzerstörung uns schwer niederdrücken, wenn uns das Leben bitter und traurig vorkommt, wenn Niedergeschlagenheit und Verzweiflung zu Pessimismus führen – haben wir eine Wahl: Nichtstun oder Handeln.


Optimisten, die der Zukunft hoffnungsvoll entgegensehen, neigen dazu, Probleme als Gelegenheiten zum Handeln zu betrachten. Pessimisten sehen dagegen die negativen Seiten der Probleme, egal ob auf persönlicher oder globaler Ebene. Weil sie all die möglichen Gefahren und Abgründe auf dem Weg sehen – und weil Todesangst hinter all diesen Gefahren lauert – haben Pessimisten selten Hoffnung in Bezug auf die Zukunft. Deshalb verharren sie oft in Passivität, wenn ihnen eine Herausforderung begegnet.


Entweder können wir also wie viele Pessimisten versuchen, uns von der Gemeinheit der Welt und von anderen Menschen fernzuhalten und uns in eine dunkle Schale zurückzuziehen – oder wir können der Hoffnungslosigkeit mit Taten entgegentreten. Kopf in den Sand oder zielführendes Handeln.


Viele wissenschaftliche Studien belegen, dass selbstloses, uneigennütziges Handeln dem Pessimismus entgegenwirken und ihn sogar heilen kann. Die New York Times hat über ein Forschungsprojekt („Giving to Others and the Association Between Stress and Mortality“) berichtet, das zu dem Ergebnis kam: Belastende Lebensereignisse hatten schlimmere Auswirkungen auf hoffnungslose Menschen als auf andere. Außerdem schienen die schädlichen körperlichen Auswirkungen von Stresserfahrungen bei denjenigen zu verschwinden, die anderen halfen. Schon lange bevor solche Studien in Auftrag gegeben wurden, lehrte Baha'u'llah:


Seid nicht beschäftigt mit euren eigenen Belangen! Lasst eure Gedanken fest auf das gerichtet sein, was das Glück der Menschheit wiederherstellen und der Menschen Herzen und Seelen heiligen wird. Am besten kann dies durch reine und heilige Taten, durch ein Leben der Tugend und durch edles Betragen vollbracht werden.

An anderer Stelle sagt er:


Selig und glücklich ist, wer sich erhebt, dem Wohle aller Völker und Geschlechter der Erde zu dienen.
Baha'u'llah, Ährenlese

Wenn wir zum Wohle anderer uneigennützig und selbstlos handeln – egal, ob wir uns dabei pessimistisch oder optimistisch fühlen – weiten wir unseren Blickwinkel von der Konzentration auf uns selbst hin zum ganzen Bild. Indem wir anderen aus ihren Problemen heraushelfen, verlieren unsere eigenen Probleme an Gewicht. Allein schon der bloße Akt, etwas Gutes zu tun, lässt in uns positive Gefühle und Optimismus wachsen. Dadurch können wir unsere eigenen Lasten und unser Leid besser einschätzen und leichter ertragen.


Sei nicht Sklave, sondern Herr deiner Stimmungen. Bist du aber so verärgert, so gedrückt, so wund, dass dein Geist selbst im Gebet nicht Erlösung und Ruhe findet, so gehe eilends hin und bereite einem Geringen, einem Bekümmerten, einem schuldig oder unschuldig Leidenden – eine Freude! Opfere dich, deine Gabe, deine Zeit, deine Ruhe einem anderen, einem, dem mehr als dir auferlegt ist – und deine unglückliche Stimmung löst sich auf in gottselige, gottzufriedene Ergebung.
Aus einer Pilgernotiz von Dr. Josephine Fallscheer aus einem Gespräch mit Abdu'l-Baha

Nehmen wir als Beispiel das Problem der Armut. Dazu heißt es in den Baha'i-Schriften:


Sie müssen sich wesentlich ernsthafter um die Besserung der Lebensbedingungen der Armen kümmern. Ruhen Sie nicht, bis jeder einzelne, mit dem Sie zu tun haben, für Sie wie ein eigenes Familienmitglied ist. Betrachten Sie jeden entweder als Vater oder Bruder oder Schwester oder Mutter oder als Kind. Wenn Sie das erreichen, werden sich Ihre Probleme lösen und Sie werden wissen, was zu tun ist. Dies besagt die Lehre Baha'u'llahs.

Demzufolge hat uneigennütziges Handeln die Macht, Schwierigkeiten und Trübsinn aufzulösen. Wer sich angesichts des Zustands der Welt pessimistisch fühlt, kann beispielsweise ehrenamtlich tätig werden, kann Zeit und Energie zum Wohl anderer aufbringen. Wer das tut, tauscht ungesunden Pessimismus gegen glückliche spirituelle Zuversicht ein.


 

David Langness ist Journalist und Literaturkritiker. Er arbeitet für das Paste Magazine und schreibt für bahaiteachings.org neben seiner dortigen Rolle als Chefredakteur. Er lebt mit seiner Frau Teresa in Nordkalifornien/USA.


Dieser Artikel erschien im Original auf bahaiteachings.org


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