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Unser Nachbarschaftsfest – Vom Nutzen einer blühenden Gemeinschaft

  • Autorenbild: Talia Turnbull
    Talia Turnbull
  • 6. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Es war einmal ein wunderschön sonniger Septembertag in Nordengland. Bereits das ein seltenes Ereignis, angesichts des üblichen britischen Wetters. Da wurde ich Zeugin von etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte.


Gelebte Gemeinschaft

Auf dem ausgedehnten Rasen vor der örtlichen Kirche – es machte mich sprachlos – tummelten sich ungefähr 50 Nachbarn, Jung und Alt, Muslime und Christen, Inder und Pakistani, Alteingesessene und frisch Zugewanderte. Sie redeten und lachten miteinander, ließen sich die Gesichter bemalen und teilten ein Multikulti-Buffet bei einem Nachbarschaftsfest.


Kurdische und englische Folk-Musiker jammten gemeinsam. Kinder spielten das Lauf-und-Fang-Spiel Plumpsack. Einige gestalteten ein großes Banner zur Feier der Einheit. Familien dekorierten Tontöpfe und kauften Erdbeerpflanzen für den eigenen Garten.


Viele dieser Menschen waren seit Jahrzehnten Nachbarn und hatten sich doch nie zuvor getroffen. Sie alle beteiligten sich glücklich an etwas, das letzten Endes die Welt verändern wird: zielgerichtete Gemeinschaftsbildung.


Liebe und Gemeinschaft

Der Event: ein Nachbarschaftsfest. Der Antrieb: Aufbau blühender Gemeinden. Ursprung des Antriebs: Die Baha'i-Lehren der Liebe und Einheit.


Die grundlegende Absicht, die den Glauben Gottes und Seine Religion beseelt, ist, die ... Einheit zu fördern und den Geist der Liebe und Gemeinschaft unter den Menschen zu pflegen.

Seit drei Jahren wohne ich in der Gegend und habe bemerkt, dass die Menschen hier dazu neigen, sich von ihrer Umgebung abzusondern. Sie essen, schlafen und entspannen in ihren Häusern, pendeln in die Schule oder zur Arbeit, kehren danach heim – und ziehen sich wieder in ihre Häuser zurück. Sie wechseln selten mehr als zwei Worte mit den Nachbarn nebenan. Das eigene Heim als uneinnehmbare Festung zu betrachten ist nicht unüblich. Das kommt besonders in der westlichen Welt häufig vor, wo die Gesellschaft großen Wert auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit legt. Diese Einstellung möchten einige Freunde und meine Familie jedoch gerne ändern.


Sicherheitsbedürfnis

Natürlich ist der Wunsch nach einem Rückzugsort verständlich. Wenn ich nur fünf Minuten Medien konsumiere, bricht mir das Herz. Diese überwältigende Nachrichtenflut über Gewalt, Hunger, Krieg und Menschenrechtsverletzungen - und vieles davon dem eigenen Heim allzu nahe. Beispielsweise erschütterten vor Kurzem gewalttätige Anti-Migrationskrawalle ganz England. Wie wir erfuhren, waren eine solche Ausschreitung auch gegen ein Anlaufzentrum für Migranten geplant worden, das weniger als 2 km von meiner Haustür entfernt liegt, mit der Absicht, dabei noch mehr Hass, Streit und Misstrauen zu verbreiten. Kein Wunder, dass die Menschen Sicherheit suchen, eine Zuflucht in diesen schwierigen Zeiten. Kein Wunder, dass eine Neigung aufkommt, andere zu verdächtigen und sich von der Außenwelt abzukapseln.


Schutz in der Gemeinschaft

Aber was wäre, wenn wir unsere Türen und Herzen nicht aus Selbstschutzbedürfnis verschließen würden? Was wäre, wenn wir sie für unsere Nachbarn öffnen würden? Gibt es einen besseren Weg, uns in unserem Heim und unseren Gemeinden sicher zu fühlen, als den, unsere Nachbarn näher kennenzulernen und vertrauensvolle Beziehungen zu ihnen aufzubauen? In einer Baha'i-Botschaft vom April 2024 heißt es, dass aufrichtige Anteilnahme zu nachhaltigen Anstrengungen führt, um Gemeinschaften aufzubauen, die Hoffnung statt Verzweiflung und Einheit statt Konflikt bieten.


Das war der Anlass für unser Nachbarschaftsfest. An jenem Samstagnachmittag bekamen die Besucher Gelegenheit, ihre Nachbarn zwanglos kennenzulernen, draußen etwas mit ihren Kindern zu unternehmen, köstliche Speisen zu probieren und lustige Spiele zu spielen. Unter der Oberfläche geschah jedoch noch weit mehr.


Mauern einreißen

Zum einen wurden in einem Wohnviertel unsichtbare Mauern eingerissen, dessen Bevölkerung sich äußerst vielfältig aus Angehörigen einer Fülle von Ethnien, Religionen und Sprachen zusammensetzt. “Sie sehen anders aus als ich” ist oft das erste Hindernis, das wir bei unserem Bemühen um Einheit und sozialen Wandel überwinden müssen. Bei unserem Fest trafen Menschen jeglicher Herkunft aufeinander und kamen locker ins Gespräch – ein erster Schritt, unser gemeinsames Menschsein zu erkennen und Verbindungen zu unseren Nachbarn zu knüpfen.


Eine andere Mauer haben wir ebenfalls abgetragen: soziale Isolation und die Abneigung, sich mit anderen Menschen zu beschäftigen. Die Idee zu dem Fest entstand im Kern unseres Freundeskreises, zu dem mein Ehemann und ich, unsere beiden kleinen Kinder und ein Baha'i-Paar gehören, das am Ende der Straße wohnt. Unsere kleine Gruppe wäre natürlich nie in der Lage gewesen, allein ein solches Nachbarschaftsfest auf die Beine zu stellen. Tatsächlich wäre noch wenige Monate zuvor allein schon die Idee eines solchen Festes total unrealistisch, geradezu größenwahnsinnig erschienen, da um uns herum keinerlei Interesse an so etwas erkennbar war. Doch das veränderte sich schrittweise. Wir führten inhaltsreiche Gespräche. Wir luden Nachbarn zur Teatime auf einen kleinen Plausch ein; Tee ist ein wesentlicher Bestandteil des britischen Gesellschaftslebens! Nach und nach fanden wir ein halbes Dutzend enthusiastischer Unterstützer, die ebenso wie wir vom Wert des Gemeinschaftsaufbaus überzeugt und bereit waren, bei der Festorganisation zu helfen. Unser kleiner Kern begann zu wachsen.


Gemeinsam und geduldig

Wie bei allen Graswurzel-Initiativen ging es langsam voran. Über zwei Jahre traf sich unser Kern wöchentlich bei uns zu Hause, um gemeinsam zu beten, über die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu beraten und unsere Freundschaft zu vertiefen.


Manchmal fruchten unsere Bemühungen, manchmal sind die Ergebnisse enttäuschend. In einer Woche nahmen 15 Kinder an unserem Jugendprogramm für geistige Entfaltung teil, in der nächsten Woche niemand. Aber wir unterstützen und ermutigen uns gegenseitig und machen weiter. Gemeinsam strengen wir uns für die Besserung der Lebensumstände in unserer Umgebung an. Dabei ist uns jedoch bewusst, dass eine hoffnungsfrohe und geeinte Nachbarschaft nicht von unserer kleinen Gruppe allein aufgebaut werden kann.


Ein Baha'i-Botschaft vom November 2023 besagt: „Diese wesentliche Aufgabe erfordert, dass immer mehr Menschen sich des geistigen und materiellen Wachstums ihrer Gemeinden annehmen. Wir können nicht darauf warten, dass andere das für uns übernehmen, genausowenig wie wir allein die Probleme der ganzen Welt lösen können.


Überholtes behindert

Tatsächlich können wir heutzutage mit zunehmender Klarheit erkennen, wie einige althergebrachte Sitten und Überzeugungen die Menschheit aktiv daran hindern, in Richtung Einheit und Gleichberechtigung voranzuschreiten. Die Baha'i-Schriften betonen:


Alte ethische Normen, Moralvorstellungen und vergangene Lebensweisen sind für das gegenwärtige Zeitalter des Fortschritts und der Entwicklung nicht mehr ausreichend.

Wenn wir eine friedliche und sichere Zukunft wollen, in der jeder Mensch sich gleichberechtigt vertreten und unterstützt fühlt, müssen wir alle zu Handlungsträgern in unserer eigenen Geschichte des individuellen und sozialen Wandels werden.


Was braucht eure Gemeinde?

Unser Nachbarschaftsfest war ein kleiner Schritt in diese Richtung. In eurer Umgebung mag die Situation eine andere sein. Da kann ein Beitrag zum Gemeinschaftsaufbau darin bestehen, jemandem eine Mahlzeit vorbeizubringen, der gerade aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Oder darin, eine Aufräumaktion zum Müllsammeln in öffentlichen Grünanlagen zu organisieren. Oder darin, Parkbänke frisch zu streichen. Oder darin, eine Social-Media-Gruppe für Nachbarschaftskontakte aufzubauen. Oder darin, einfach mal jemanden in eurer Straße anzusprechen, mit dem ihr nie zuvor Kontakt hattet. Jeder kleine Schritt in Richtung Gemeinschaftsbildung wird sich zum nächsten addieren, wenn sie regelmäßig und nachhaltig erfolgen. Eure Aktionen sollten sich an den Bedürfnissen eurer Gemeinden, euren Talenten und Fähigkeiten zu dienen und dem Lebensrhythmus eurer Nachbarschaft orientieren. Egal was wir unternehmen - je entschlossener wir mit den Menschen um uns herum eine Gemeinschaft aufbauen, desto besser ist unsere Zukunft.


Wir sind nicht alleine

Wenn die Aufgabe manchmal allzu überwältigend erscheint, macht euch bewusst, dass ihr mit dem Wunsch nach dem Aufbau einer besseren Welt nicht allein seid. Die Herzen sind offen, auch wenn die Türen es nicht sind.


Erinnert ihr euch an den Anti-Migrationskrawall, der geplant war, um Angst und Gewalt in meine Nachbarschaft zu tragen? Anstatt dass rassistische Hasstreiber Feuer legten und Schaufenster einschlugen, standen da mehr als 3.000 Menschen solidarisch zusammen, um ihre Nachbarn zu schützen. Sie trugen Banner, die von Frieden und Einheit als wichtigste Werte unserer Gemeinde kündeten.


Euer eigener Freundeskreis, auch wenn es nur ein kleiner Kern ist, wartet nur da draußen auf euch, auf ein freundliches Wort, eine Einladung, ein Lächeln. Seht euch einfach um. Wenn ein entflammtes Herz auf ein anderes trifft, so versprechen die Baha'i-Lehren, wird sich das Feuer der Liebe und Einheit verbreiten, bis es die ganze Erde erleuchtet.



Talia Turnbull ist Schriftstellerin, Musikerin, Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Sie wuchs an der US-Westküste auf, hat in Paris und Honolulu gelebt und nennt jetzt England ihr Zuhause. Ihren internationalen Umzügen verdankt sie ihre Leidenschaft für Sprachen und die Erforschung von Migrationserfahrungen. Talia gehörte als Cellistin einem Orchester an und unterrichtete 15 Jahre das Spielen von Saiteninstrumenten. Heute widmet sie sich hauptsächlich dem Schreiben, der Erziehung zu mitfühlenden Kindern und dem Nachbarschaftsaufbau.


Dieser Artikel erschien im Oktober 2024 im Original auf bahaiteachings.org und wurde von der Redaktion geringfügig geändert.


Photo von fauxels auf Pexels


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