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Der Menschenrechtstag 2025

  • Autorenbild: Ingo Hofmann
    Ingo Hofmann
  • vor 3 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Erinnerung an eine Verpflichtung für die Zukunft der Menschheit


Am 10. Dezember jährt sich die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) zum 77. Mal – ein Tag, den die Vereinten Nationen als Wendepunkt der modernen Geschichte feiern. In diesem Jahr aber fällt der Blick nicht nur auf diese Erklärung, sondern auch auf ein anderes, zutiefst deutsches Ereignis: den 80. Jahrestag der Nürnberger Prozesse. Ein bedeutsames Zusammentreffen – auch angesichts der aktuellen Weltlage.


Verhandlungssaal im Justizpalast während des Nürnberger Prozesses

Beunruhigend: Die Menschenrechte – jene „unveräußerlichen Rechte“, die jedem Menschen zukommen sollten – geraten weltweit zunehmend unter Druck. Autokratische Systeme erstarken überall, Minderheiten werden verfolgt, Menschen auf der Flucht entrechtet, und selbst demokratische Staaten geraten ins Wanken.

Inmitten dieser globalen Spannung erinnert die Baha'i-Religion daran, dass die Menschenrechte nicht nur eine politische Errungenschaft darstellen, sondern Ausdruck eines grundlegenden geistigen Prinzips sind: der Einheit und Würde der gesamten Menschheit.


Wenn wir heute von Menschenrechten sprechen, dann ist das Wort „Nürnberg“ untrennbar damit verbunden. Die Nürnberger Prozesse (1945–1949) waren das juristische Fundament, aus dem die moderne Idee individueller Verantwortbarkeit erwuchs. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde das Prinzip anerkannt:


Ein Mensch – selbst ein Staatsführer – kann persönlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung gezogen werden.


Dies war ein revolutionärer Schritt:


  1. Individuelle Schuld: Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nicht Handlungen abstrakter Staaten, sondern moralische Entscheidungen einzelner Menschen.

  2. Völkerstrafrecht: Die späteren „Nürnberger Prinzipien“ wurden in die UN-Charta aufgenommen und bilden die Grundlage des heutigen Internationalen Strafgerichtshofs.

  3. Universalität der Menschenrechte: Die Welt erkannte, dass Schutz vor Barbarei nicht national, sondern global gedacht werden muss.


Diese juristische und moralische Neudefinition wurzelt unmittelbar im Schrecken, der die Welt erschütterte. Die Verbrechen des Nationalsozialismus – Völkermord, Sklaverei, Folter, Deportation – waren so unfassbar, dass Winston Churchill sie ein „Verbrechen ohne Namen“ nannte.


Aus dieser Erschütterung heraus entstand die AEMR. Ihr erster Satz lautet:


Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“


Die AEMR markiert nicht nur ein politisches, sondern auch ein spirituelles Erwachen. In den Augen der Baha'i ist sie die weltliche Umsetzung eines Prinzips, das die Baha'i-Schriften bereits im 19. Jahrhundert lehrten: Alle Menschen, gleich welcher ethnischen, sozialen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, sind vor Gott gleich. Ihre zentrale Lehre „Die Erde ist nur ein Land, und alle Menschen sind seine Bürger betrifft nicht nur das Zusammenleben der Nationen, sondern auch die Auflösung von Vorurteilen aller Art.


Wenn die AEMR festhält, dass jeder Mensch Rechte besitzt „ohne Unterschied von Ethnie, Religion, Sprache oder Geschlecht“, ist das letztlich die politische Form eines spirituellen Prinzips: der Würde des Menschen.


Menschenrechte heute

Doch während sich die Menschheit an die wichtigen Fortschritte in der Vergangenheit erinnert, erleben wir gegenwärtig zugleich ein Zeitalter der Rückschritte.

  • In über 70 Ländern werden demokratische Institutionen systematisch geschwächt.

  • Minderheitenrechte werden vielerorts eingeschränkt.

  • Über 100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht – ein historischer Höchststand.

  • Die Klimakrise bedroht das Leben von Millionen und verschärft soziale Ungleichheit.

  • Digitale Überwachung und künstliche Intelligenz ermöglichen neue Formen der Unterdrückung.


Kurz gesagt: Der moralische Fortschritt ist keine gerade Linie. Auch Deutschland steht vor Herausforderungen: Antisemitismus und Rassismus nehmen zu, politische Extreme gewinnen an Einfluss, und das Vertrauen in demokratische Strukturen sinkt. Gerade im Land der Nürnberger Prozesse ist diese Entwicklung besonders schmerzhaft – und besonders warnend.


Die Baha'i-Schriften erinnern uns daran, dass Rechte und Pflichten untrennbar verbunden sind. Gerechtigkeit, so heißt es, ist die „größte Zier der Welt“. Doch Gerechtigkeit ist nicht bloß ein Gesetz – sie ist eine Haltung. Alle Menschen sind dazu aufgerufen:


  • Vorurteile abzulegen

  • Selbständig die Wahrheit zu suchen

  • Die Rechte der anderen zu schützen

  • Das Wohl der Menschheit über Eigeninteressen zu stellen.


Diese geistigen Ansprüche machen klar: Menschenrechte lassen sich nicht nur verordnen – sie müssen erlernt, gelebt und geschützt werden.


Die dringende Frage: Wie geht es weiter?

Heute stehen wir an einem historischen Scheideweg. Die Welt scheint sich zwischen zwei Wegen entscheiden zu müssen: dem Weg der Einheit – Zusammenarbeit, gemeinsames Lernen, internationale Verantwortung, oder dem Weg der Spaltung – Nationalismus, Machtpolitik, Angst und Abschottung. Der Tag der Menschenrechte ist keine Feier der Vergangenheit, sondern eine Verpflichtung für die Zukunft.


Die Baha'i-Lehren zeigen: Die Menschheit ist eins – und ihre Zukunft hängt von ihrer Einigkeit ab; die Menschheit kann sich nur dann in Richtung Frieden bewegen, wenn sie erkennt, dass ihre Vielfalt ein Reichtum ist – nicht eine Bedrohung. Heute, in einer Welt voller Krisen, Rückschritte und neuer Bedrohungen ist es dringlicher denn je, dieses Versprechen zu erneuern. Nicht als politische Pflicht allein, sondern als moralischer, menschlicher und geistiger Auftrag.


Denn die Menschenrechte sind nicht nur ein Dokument. Sie sind ein Maß dafür, wie wir miteinander leben wollen. Und sie beginnen bei uns allen.



Ingo Hofmann studierte Physik in München und war über drei Jahrzehnte im Raum Darmstadt-Frankfurt in der Forschung und als Hochschullehrer tätig. Er ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Potsdam, Brandenburg.


Foto: Verhandlungssaal im Justizpalast während des Nürnberger Prozesses, 30. September 1946. Quelle: BArch, Bild 183-H27798 / o. Ang.




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