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AutorenbildIngo Hofmann

Über Krieg und Frieden reden – aber wie?


Kann man das aktuell überhaupt? Der grausame Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 löste bei den Betroffenen schmerzhafte Erinnerungen an die unfassbare Katastrophe der Shoah vor einem dreiviertel Jahrhundert aus. Der erneute Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ab Februar 2022 hinterlässt Tod, Flucht und landesweite Zerstörung ohne konkrete Perspektive auf einen von Vielen herbeigesehnten Frieden.


Der zündende Funke der Wahrheit erscheint erst nach dem Zusammenprall verschiedener Meinungen

Wie soll man in solchen Zeiten über Frieden reden? Noch dazu vor einem schwer durchschaubaren und kontrovers diskutierten Hintergrund politischer und ökonomischer Interessen? Wer bestimmt die in solchen Zeiten infrage gestellte Gültigkeit von Meinungsfreiheit oder Völkerrechts- und Menschenrechtsfragen? Die Feststellung, „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer“ (zugeschrieben Aischylos, 5. Jh. v. Chr. ) wurde immer wieder bestätigt. Sie dürfte hier erneut gelten.


Ist es nicht erschütternd, dass die Menschheit nach zwei katastrophalen Weltkriegen in einer nicht enden wollende Serie weiterer Kriege landete, die immer mehr die Gefahr eines neuen Weltkriegs heraufzubeschwören scheinen? Dabei hat sich die eigentlich ursächliche Dynamik hinter ihrer Entstehung nur wenig verändert: Gebiets- und Machtansprüche, legitimiert durch Vorurteile, die von den Machthabern oft gezielt verstärkt werden.


Beide hier angesprochenen Kriege sind – wie die meisten jüngst vorangegangenen – völkerrechtlich zu verurteilende Angriffskriege. Sie gehen mit unerträglichem menschlichem Leid und vermutlich folgenschweren geopolitischen Verwerfungen einher. Der Krieg gegen die Ukraine hat auf globaler Ebene – weit über die direkt betroffenen Länder hinaus – gravierende Folgen sozialer und wirtschaftlicher Natur. Er verstärkt dramatisch Hunger, Armut, medizinische Not und Polarisierung ganzer Gesellschaften. Ganz zu schweigen von den unumkehrbaren Auswirkungen auf die Klimaerwärmung infolge der Waffenproduktion und ihres Einsatzes.


All dies führt dazu, dass ich als ein Mensch, der an gesellschaftlichen Themen und aktuellen „Diskursen“ interessiert ist, auf Gespräche, auf ein Reden über Krieg und Frieden nicht verzichten kann. Ich will mir dabei nicht anmaßen, über konkrete Lösungsvorschläge urteilen zu können. Einige Gedanken als Voraussetzung für ein solches „Reden“ – sei es im persönlichen oder im weiteren Umfeld wie beispielsweise im interreligiösen Kontext – erscheinen mir dabei aber wichtig:

Ich kann nicht auf die Vorstellung verzichten, dass ein konkreter, umfassender, gesicherter Weltfrieden den Weg in die Zukunft weist (siehe auch: Markus Mediger, Gesucht: Weltfrieden). Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt wurde u.a. durch sein apokalyptisches Drama „Die Physiker“ bekannt, in dem er die Möglichkeit der Menschheitsvernichtung durch eine geheime Bombe dramaturgisch aufgearbeitet hat. Er mahnte:

Man darf nie aufhören, sich die Welt vorzustellen, wie sie am vernünftigsten wäre.
Friedrich Dürrenmatt, in: Hingeschriebenes. 1947-1948.

Über Meinungsfreiheit und „ja, aber …“


Kann ich alles behaupten, was mir in den Sinn kommt? Wir wir aus den immer widerhallenden Echos der Geschichte lernen können: Bevor wir mit schnell gefassten Meinungen über neu aufgetretene Kriege reden, sollten wir uns erst über ihre Vorgeschichte und Hintergründe informieren. Erst dann erscheint die Debatte in einem angemessenem Licht. Denn die Zusammenhänge sind in Wirklichkeit wesentlich komplexer, komplizierter, als die Bilder und Bewertungen in den Medien erkennen lassen. Bilder und Bewertungen erzeugen vor allem Gefühle, doch die helfen nicht unbedingt beim Verständnis, ja manchmal erschweren sie es sogar. Zukunftsperspektiven müssen meiner Ansicht nach vor allem so gedacht werden, wie sie „am vernünftigsten wären“.


Ist die Meinungsfreiheit hierzulande bedroht? Selbst in der Kunstwelt, die doch von der Freiheit lebt, bricht nun ein Streit darüber aus, was noch gesagt und gedacht werden darf. Ähnliches gilt für den interreligiösen Dialog. Menschen unterschiedlicher Meinungen werden öffentlich gedrängt, eindeutige „Bekenntnisse“ abzulegen, in klaren, unzweideutigen Worten. Kein „Ja, aber …“, denn darin seien ja immer Zweifel an dem enthalten, was andere aufgrund von Tatsachen für eindeutig halten. Ich finde aber, dass in dieser Debatte unterschieden werden sollte: Zwischen einerseits gesicherten Tatsachen, die keine Zweifel zulassen, und andererseits der Bemühung um eine Wahrheitsfindung, die dahinterliegende Ursachen verstehen und denkbare Lösungswege für die Konflikte entdecken will. Dieser Prozess beginnt immer mit einer Vielfalt unterschiedlicher Meinungen, die auch ertragen werden müssen – selbst wenn das schwer fällt.


Über Wahrheitsfindung


Keine geringere als die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme

in die USA ausgewanderte deutschjüdische Denkerin und Publizistin Hannah Arendt schrieb in ihrem Essay „Wahrheit und Lüge in der Politik“:

Niemand hat je bezweifelt, dass es um die Wahrheit in der Politik schlecht bestellt ist, niemand hat je die Wahrhaftigkeit zu den politischen Tugenden gerechnet. Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers und sogar des Staatsmannes zu gehören.
Hannah Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, Piper (1987) S. 44

Diese kritische Analyse aus der Zeit des Vietnamkriegs scheint auf die Kriege des 21. Jahrhunderts nicht weniger zuzutreffen.

Wie gehen wir damit um in Zeiten, in denen der öffentliche Diskurs zusätzlich durch „fake news“ verunsichert wird? (siehe auch: Leyla Tavernaro-Haidarian, „Wahrheit“ in Zeiten von „Fake News“). Die Begegnung unterschiedlicher Meinungen steht immer am Anfang eines Prozesses der Wahrheitsfindung, ob im persönlichen Bereich, in interreligiösen Foren oder wo auch immer.

Im praktischen Leben bedeutet das: Erst der oft mühsame Weg der Beratung – man mag ihn auch „Auseinandersetzung“ oder „Diskurs“ nennen – führt gemäß der Baha'i-Schriften bei schwierigen Fragen Schritt für Schritt zur Wahrheitsfindung:


Der zündende Funke der Wahrheit erscheint erst nach dem Zusammenprall verschiedener Meinungen.

Dabei kommt es darauf an, dass – in einer Haltung gegenseitigen Respekts – alle vorgetragenen Alternativen oder Meinungen zugelassen werden und sich alle Teilnehmenden bei ihrer Meinungsäußerung frei fühlen können.

Die Fähigkeit der Wahrheitsfindung trotz einer Vielfalt von Meinungen ist gerade in Krisenzeiten ein wichtiges Gut, um Polarisierung und Spaltung zu vermeiden.


Der von Arendt beklagte Mangel an politischer Wahrhaftigkeit trägt erheblich zu Verunsicherung, Vertrauensverlust und Polarisierung bei. Ein Verlust an Konsensfähigkeit bei wichtigen gesellschaftlichen Themen, also ein Verlust der Fähigkeit, Beschlüsse zu fassen, die von allen gleichermaßen getragen werden können, kann aber Demokratien, die darauf angewiesen sind, in ihrem Bestand gefährden.

Frieden – ein Menschheitsanliegen


Die bisherigen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts sprechen eine deutliche Sprache: Es gab nur noch Verlierer. Mit der Globalisierung und der sich abzeichnenden Spaltung der Welt in sich immer weiter einander entfremdende geopolitische Lager kann sich dieser Trend verschlechtern. Mehr Rüstung bringt keine Lösung. Vor diesen beiden Jahrhunderten voller aussichtsloser Kriege schrieb Baha'u'llah, der Stifter der Baha'i-Religion, über einen notwendigen, weltumspannenden Frieden:

Ein solcher Friede erfordert es, dass die Großmächte sich um der Ruhe der Völker der Erde willen zu völliger Aussöhnung untereinander entschließen. Sollte ein König die Waffen gegen einen anderen ergreifen, so müssen sich alle vereint erheben und ihn daran hindern. Wenn dies geschieht, werden die Nationen der Welt außer für die Wahrung der Sicherheit ihrer Reiche und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in ihrem Staatsgebiet keine Waffen mehr brauchen. Dies wird jedem Volk, jeder Regierung und Nation Frieden und Ruhe sichern.
Baha'u'llah, Ährenlese

Friedenssicherung als gemeinsame Aufgabe aller Nationen dieser Welt ist demnach die unumgängliche Perspektive für ein zukünftiges Wohlergehen der Menschheit. Mit der Gründung des Völkerbunds und der Vereinten Nationen wurde dieser Weg zu einem kollektiven Sicherheitsdenken bereits betreten. Denn es gibt nach den Baha'i-Lehren nur eine Menschheit.


Die ganze Menschheit ist demnach als eine Familie zu betrachten – über alle Grenzen hinweg, ob nationaler, religiöser oder ethnischer Art. Wenngleich wir in Fragen der sozialen Gerechtigkeit noch weit davon entfernt sind und der Abbau von Grenzen überall ein steiniger Weg ist, muss unser Mitgefühl gegenüber Menschen, die unter Kriegen und Not leiden, umfassend sein. Vor allem darf einseitiges Mitgefühl nicht zu Hass führen: Hass kann allzu leicht zur Rechtfertigung von Kriegen eingesetzt werden.


Vor dem ersten Weltkrieg, 1911 in einer Ansprache in Paris, rief Abdu'l-Baha seine Zuhörer dazu auf, „der ganzen Menschheit Mitgefühl und guten Willen zu erzeigen“ und „der Menschheit Dienste zu erweisen“.


Die wachsende Polarisierung in unserer Gesellschaft und der Welt im Großen ist gewiss in hohem Maße ein Erbe der Vergangenheit. Die Baha'i-Lehren fordern dazu auf, unseren inneren Kompass auf das Wohlergehen der ganzen Menschheit zu richten. Wir können Hoffnung auf eine friedliche Zukunft schöpfen, wenn wir unser Denken und Handeln in den Dienst für andere stellen – egal wo, ob im persönlichen Umfeld, in unserer Region und möglichst auch global.


 

Ingo Hofmann studierte Physik in München und war über drei Jahrzehnte im Raum Darmstadt-Frankfurt in der Forschung und als Hochschullehrer tätig. Er ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Potsdam, Brandenburg.


Photo generiert von GenAI


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