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Kann Künstliche Intelligenz ein Bewusstsein entwickeln?

Autorenbild: Markus MedigerMarkus Mediger

Beim täglichen Umgang mit Smartphones und dem Internet begegnet man der künstlichen Intelligenz (KI) immer häufiger in Form von „Generativer KI“, wie etwa bei Konversationen mit Chatbots wie ChatGPT oder durch die Erzeugung multimedialer Inhalte mit einer ständig wachsenden Zahl an technischen Werkzeugen.


Den höchsten Grad an Begriffsvermögen in der Welt der Natur besitzt die vernunftbegabte Seele

Chancen und Risiken von KI


Diese technischen Werkzeuge sind immer einfacher zu nutzen und können mittlerweile schon täuschend echte sogenannte „Deepfakes“ produzieren – Bilder, Videos oder Audios mit manipulierten Inhalten von echten Personen und Gegenständen in tatsächlich existierenden Umgebungen. Auch werden immer mehr klassische Anwendungen wie online Shopping oder Musik-Streaming im Hintergrund von KI-Algorithmen gesteuert. Beim online Kunden-Service kommuniziert man zum Beispiel in erster Instanz fast immer mit einem Chatbot.


Auch das Spektrum an möglichen Szenarien über die Zukunft von KI könnte kaum größer sein: Auf der einen Seite sind einige davon überzeugt, dass KI das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten könne (bspw. Noah Harari’s AI and the Future of Humanity“). Auf der anderen Seite herrscht die Hoffnung, dass sich KI-Systeme ständig verbessern und schließlich alle bisher unlösbaren Probleme meistern werden (bspw. Vinod Khsola in his Global Race in AI“).


Diese Visionen über die Zukunft der KI gehen einher mit den rasant steigenden Fähigkeiten solcher KI-Systeme, bis hin zum immer häufiger diskutierten Hervortreten einer künstlichen allgemeinen Intelligenz“ (AGI). Ab solch einer Entwicklungsstufe könnte eine KI menschenähnliche kognitive Fähigkeiten zeigen und dabei Kreativität und Bewusstsein entwickeln, so die Meinung.


Doch ist die Erschaffung einer echten schöpferisch denkenden künstlichen Intelligenz prinzipiell überhaupt möglich? Technisch gesehen stehen wir derzeit noch ziemlich am Anfang des KI-Zeitalters. Die großen Sprachmodelle („Large Language Models“), die hinter den großen Chatbots wie ChatGPT, Perplexity oder Claude stehen, sind zumindest derzeit noch nicht dazu in der Lage, sich permanent neues aktuelles Wissen anzueignen. Im Kern basieren diese „Grundmodelle“ lediglich auf einer raffinierten Vorhersage, welches Wort am wahrscheinlichsten auf ein vorheriges Wort in einem gegebenen Kontext folgen sollte. Sie basieren auf fest antrainierten Grundlagen, die zum initialen Training gigantische Mengen an Daten und Energie benötigen und danach durch „Feinabstimmungen“ an bestimmte Wissensdomänen oder Aufgaben angepasst werden können. Damit liegen KI-Systeme derzeit noch weit hinter den Fähigkeiten eines menschlichen Gehirns zurück.


Doch wie mag das in der Zukunft ausschauen? Mit der rasanten Entwicklung immer leistungsfähiger Chips ist vieles vorstellbar. Was könnte etwa ein KI-gesteuerter Roboter alles leisten, der sowohl akustische als auch optische Informationen in Echtzeit verarbeiten könnte und noch dazu in der Lage wäre, sich zu bewegen und mit seiner Umwelt zu interagieren? Angesichts der bereits existierenden technischen Umsetzungen kann einem bei diesem Gedanken schon etwas mulmig werden.


Betrachten wir das Thema „bewusste Intelligenz“ nun aus einer anderen Perspektive.


Wie entsteht Bewusstsein?


Es drängt sich hier eine uralte Frage auf, mit der sich schon viele Generationen von Philosophen und Wissenschaftlern beschäftigt haben: Was ist das menschliche Bewusstsein, bzw. wie kommt es eigentlich zustande? Ohne den Anspruch erheben zu wollen, diese großen Fragen hier auch nur ansatzweise erklären zu können – bei einem Punkt zumindest scheint es eine gewisse Einigkeit zu geben: Es hat etwas mit dem Gehirn zu tun. Eine künstliche Intelligenz könnte man nun als eine Art stark vereinfachtes künstliches Gehirn betrachten, da in beiden Fällen Netzwerke zwischen organischen oder eben künstlichen Neuronen existieren. Nun kann man sich fragen, was passiert, wenn man ein solches Netzwerk immer weiter vergrößert und die Vernetzung immer weiter verdichtet. Würde dadurch irgendwann ein Bewusstsein ins Leben gerufen? Entsteht Bewusstsein also spontan als Konsequenz der Komplexität eines neuronalen Netzwerks?


Zumindest das menschliche Bewusstsein scheint gemäß der Baha’i-Lehren von einer anderen Ebene herzurühren:


Den höchsten Grad an Begriffsvermögen in der Welt der Natur besitzt die vernunftbegabte Seele. Diese Kraft und dieses Begriffsvermögen haben alle Menschen gemein (...). In der Schöpfung Gottes umfasst die vernunftbegabte Seele des Menschen alle anderen erschaffenen Dinge und zeichnet sich ihnen gegenüber aus: Da sie edler und vornehmer ist, umfasst sie alle. Durch die Kraft der vernunftbegabten Seele kann der Mensch die Wirklichkeit der Dinge entdecken, ihre Merkmale begreifen und die Geheimnisse des Daseins durchdringen. Alle Wissenschaften, Wissensgebiete, Künste, Erfindungen, Einrichtungen, Unternehmungen und Entdeckungen entspringen dem Begriffsvermögen der vernunftbegabten Seele. Einst handelte es sich um undurchdringliche Geheimnisse, verborgene Mysterien und unbekannte Wirklichkeiten, doch die vernunftbegabte Seele entdeckte sie nach und nach und brachte sie aus dem Unsichtbaren in das Reich des Sichtbaren. Dies ist die höchste Kraft des Begreifens in der Welt der Natur; und die äußerste Grenze, zu der es sich aufzuschwingen vermag, ist das Erfassen der Wirklichkeiten, Zeichen und Eigenschaften des Bedingten.
Abdu'l Baha, Beantwortete Fragen

Das Geheimnis der menschlichen Seele


Wie in vielen religiösen Schriften kommt hier der Begriff der „Seele“ ins Spiel. Wir erweitern damit die klassisch-naturwissenschaftliche Betrachtungsweise der Fähigkeiten eines Menschen um eine zusätzliche Dimension. Das Hervortreten von Bewusstsein und Vernunft ist aus religiöser Sicht dem Wirken der „vernunftbegabten Seele“ des Menschen zuzuschreiben und nicht das Ergebnis eines Systems vernetzter Neuronen.


Die Seele eines Menschen befindet sich dabei nicht innerhalb seines Körpers, sondern existiert außerhalb von Raum und Zeit. Dennoch ist sie mit dem Körper auf mysteriöse Weise verbunden:


Die vernunftbegabte Seele, mit anderen Worten der menschliche Geist, (besteht) nicht dadurch, dass sie dem Körper innewohnt, das heißt, sie tritt nicht in ihn ein; denn Innewohnen und Eintreten sind Merkmale von Körpern. Die vernunftbegabte Seele ist darüber erhaben. Sie ist von Anfang an niemals in den Körper eingetreten, andernfalls wäre eine andere Wohnstatt für sie erforderlich, sobald sie den Körper wieder verlässt. Nein, die Verbindung des Geistes mit dem Körper ist so wie die Verbindung dieser Lampe mit einem Spiegel. Wenn der Spiegel rein und makellos ist, erscheint das Licht der Lampe darin, aber wenn der Spiegel zerbrochen oder mit Staub bedeckt ist, bleibt das Licht verborgen.
Abdu'l Baha, Beantwortete Fragen

Das menschliche Gehirn wirkt in dieser Sichtweise wie ein Spiegel in Bezug auf das „Licht“, das von der hier beschriebenen vernunftbegabten Seele ausgeht und dadurch erst das menschliche Denkvermögen ermöglicht. Wir haben damit ein klares Differenzierungsmerkmal gegenüber einer künstlichen Intelligenz – und ganz nebenbei übrigens auch eine sehr schöne Veranschaulichung der Unsterblichkeit der Seele: Etwas, das nicht „in“ der Materie existiert, muss auch nicht mit ihr vergehen.


Erstaunliche Leistungen in der Tierwelt


Wenn also menschliche und künstliche Intelligenz in Bezug auf Bewusstsein und Vernunft nicht auf der gleichen Ebene stehen, wie verhält es sich dann mit der Intelligenz und den Fähigkeiten von Tieren? Tiere „funktionieren“ in Bezug auf ihre Sinneswahrnehmung, Informationsverarbeitung und daraus entstehenden emotionalen Reaktionen sehr ähnlich zum Menschen. Gemäß den Baha'i-Schriften scheint das Tier jedoch keine dem Menschen vergleichbare Fähigkeit zu bewusstem Handeln zu besitzen:


Das Reich der Tiere liegt in der Welt der Natur. In seiner natürlichen Beschaffenheit und Begrenztheit ist das Tier vollkommen. (…) Sie sind ohne Erziehung und Ausbildung; sie haben kein abstraktes Denkvermögen und keine geistigen Ideale (...). Das Tier kann die geistige Kraft des Menschen weder erkennen noch begreifen und macht keinen Unterschied zwischen dem Menschen und sich selbst, weil seine Empfänglichkeit auf die Ebene der Sinne beschränkt ist. Es lebt unter der Zwängen der Natur und ihrer Gesetze.
Abdu'l-Baha, Promulgation of Universal Peace (Übersetzung der Redaktion)

Auf der anderen Seite sind manche Tiere mit ihren Sinnes- und Gedächtnisleistungen dem Menschen erstaunlich weit überlegen:


(…) dass die Tiere im Hinblick auf diese Kräfte dem Menschen überlegen sind. Zum Beispiel ist das Sehvermögen von Tieren viel schärfer als das des Menschen, ihr Gehör viel feiner und Gleiches gilt auch für ihr Geruchsvermögen und ihren Geschmackssinn. Kurz, bei den Kräften, die Mensch und Tier gemeinsam haben, ist das Tier oft überlegen. Nimm das Gedächtnis: Wenn du eine Taube von hier aus in ein fernes Land bringst und dort freilässt, wird sie sich an den Weg erinnern und nach Hause zurückkehren. Bring einen Hund von hier bis ins Innere Asiens, lass ihn frei und er wird nach Hause zurückkehren, ohne auch nur vom Weg abzukommen. Und so ist es auch mit den anderen Kräften wie Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen. Somit ist klar: Hätte der Mensch keine Kräfte, die über die der Tiere hinausgehen, würde das Tier bei bedeutenden Entdeckungen und im Verständnis der Wirklichkeit den Menschen zwangsläufig übertreffen. Aus dieser Beweisführung folgt, dass der Mensch mit einer Gabe ausgestattet ist und eine Vollkommenheit aufweist, die es im Tier nicht gibt.
Abdu'l Baha, Beantwortete Fragen

Schon in der Welt der tierischen Organismen hat die Natur auf kleinstem Raum und mit minimalem Energieaufwand unglaubliche Meisterwerke erschaffen, deren Erforschung sicher noch viele Erkenntnisse in Bezug auf Sensorik, Motorik und Signalverarbeitung hervorbringen werden. Vielleicht werden wir irgendwann auch in der Lage sein, künstliche neuronale Netze mit organischen Materialien zu konstruieren, um damit noch größere Fortschritte als mit den derzeitigen Chips auf Siliziumbasis erzielen zu können? Tiefergehende Forschung in diesem Bereich wird sicherlich noch viele spannende Durchbrüche liefern, ganz unabhängig von einer Verbindung mit einem menschlichen Bewusstsein.


Fazit


Mir persönlich verschafft diese Sichtweise auf die Grundlagen von Intelligenz, Vernunft und Bewusstsein jedenfalls eine gewisse Erleichterung! Die Erschaffung eines bewussten, schöpferisch denkenden und übermächtigen Wesens, welches uns etwa in Form einer technologischen Singularität quasi verschlucken könnte, liegt damit prinzipiell außer Reichweite. Dennoch wäre es leichtsinnig, die Fähigkeiten künstlicher Intelligenz zu unterschätzen. Auch ohne ein Bewusstsein oder echte schöpferische Fähigkeiten zu besitzen, können KI-Systeme durch ihr umfangreiches Training eine Vielzahl von Aufgaben zum Nutzen oder zum Schaden der Menschheit erfüllen. Wie bei allen großartigen Erfindungen liegt auch hier die Entscheidung über eine sinnvolle und verantwortungsbewusste Anwendung von künstlicher Intelligenz beim Menschen selbst.


 

Markus Mediger lebt in Nürnberg, studierte Physik an der RWTH Aachen und ist beruflich im Technologiesektor tätig.


Bild generiert durch GenAI


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