Von der Erschöpfung zur Verantwortung: Klimaschutz braucht neue Wege
- Ingo Hofmann

- vor 4 Tagen
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Es ist noch gar nicht lange her, da füllten die Klimastreiks von Fridays for Future die Innenstädte. Schüler, Studierende, Eltern und Wissenschaftler standen gemeinsam auf der Straße, vereint in der Forderung nach entschiedenen Maßnahmen zum Schutz unseres Planeten. Doch inzwischen sind die Plätze leer geworden. Wo einst Zehntausende demonstrierten, sind heute nur noch kleine Gruppen unterwegs. Die Bewegung, die einst als moralische Stimme einer ganzen Generation galt, scheint ihren Schwung verloren zu haben.

Das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad zu begrenzen, ist längst eine Illusion.
Aktuelle Schätzungen legen eher 3 Grad bereits bis 2050 nahe – mit dramatischen Folgen. Auf der Klimakonferenz 2025 (10.-21. November) in Brasilien dürfte diese Perspektive im Zentrum stehen.
Während die Krisen zunehmen – Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren – erleben wir eine breitere gesellschaftliche Ermüdung und ein Schrumpfen des öffentlichen Interesses. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Und was bedeutet er im Licht einer geistig-spirituellen Sicht auf die Welt, wie sie die Baha'i -Religion formuliert?
Zeichen einer Erschöpfung?
Die beschriebenen Bilder sind ernüchternd: eine Handvoll Aktivisten, müde Transparente, eine Öffentlichkeit, die lieber weghört. Dabei sind die Fakten überdeutlich. Der Amazonas brennt, das arktische Eis schmilzt, ganze Regionen werden von Jahrhunderthochwassern verwüstet. Dennoch haben viele das Gefühl, dass Proteste und Appelle kaum mehr etwas bewirken.
Der politische Fortschritt verlangsamt sich – in manchen Bereichen erleben wir sogar Rückschritte – und auch innerhalb der Protestbewegung sind Spaltungen sichtbar: zwischen Radikalität und Pragmatismus, zwischen Systemkritik und Realpolitik, zwischen globalem Denken und lokalem Aktivismus.
Ein Blick in die Vergangenheit: Gesellschaftliche Bewegungen unterliegen häufig einem Zyklus von Aufbruch, Höhepunkt, Ermüdung und Neuorientierung. Doch bei der Klimabewegung kommt eine besondere Schwere hinzu: Sie kämpft nicht nur gegen wachsenden Gegenwind aus der Politik und Krisenstimmung in der Wirtschaft, sondern auch gegen die psychische Last ihrer eigenen Botschaft. Wer sich täglich mit der drohenden Zerstörung des Planeten konfrontiert sieht, trägt eine Last, die nicht leicht zu ertragen ist.
Vom Protest zur Verantwortungskultur
Nachhaltiger Fortschritt entsteht weder durch Zorn noch durch Anklage, sondern durch Zusammenarbeit, Beratung und Vertrauen. Das bedeutet nicht Passivität – sondern eine tiefere Form von Aktivismus: konstruktiv statt konfrontativ, gemeinschaftlich statt gegeneinander.
Viele Bewegungen, auch Fridays for Future, haben anfangs eine inspirierende Energie entwickelt. Doch langfristig kann Protest allein nicht tragen. Gestärkt werden muss eine Kultur gemeinschaftlicher Verantwortung, die weit über Demonstrationen hinausgeht – eine, die in den Alltag hineinwirkt, in Familien, Nachbarschaften, Schulen, Gemeinden oder Unternehmen.
Baha'i-Gemeinden auf der ganzen Welt sind bestrebt, Ansätze dafür aufzubauen: lokale Gruppen, die gemeinsam über Nachhaltigkeit beraten, spirituelle Prinzipien mit praktischem Handeln verbinden und dadurch Vertrauen und Handlungsfähigkeit stärken. Diese Form des kollektiven Lernens mag unscheinbar wirken, doch sie bildet das Fundament langfristiger Veränderung (siehe hierzu auch unseren Beitrag).
Das Lernen als ein zentrales Ziel beim Handeln für die Umwelt zu setzen, erfordert bestimmte Gewohnheiten und Verhaltensweisen. In einem Modus des Lernens werden Visionen und Strategien immer wieder überdacht. Die Pläne entwickeln sich organisch im Laufe der Zeit und werden im Lichte durchgeführter Maßnahmen, gewonnener Erfahrungen, und Einsichten aus dem Gelernten modifiziert.
„Ein Planet, ein Lebensraum“, Internationale Baha'i-Gemeinde, New York, 2023, S.15
Der entscheidende Punkt liegt in der Haltung: Nicht „wir gegen sie“, sondern „wir gemeinsam“. Nicht moralische Überlegenheit, sondern geteilte Verantwortung. So entsteht aus Ohnmacht wieder Zuversicht.
Hoffnung als moralische Pflicht
Angesichts des Scheiterns vieler Initiativen erscheint bloße Hoffnung oft naiv. Doch aus Baha'i -Sicht ist sie ein Akt des Glaubens im existenziellen Sinn. Hoffnung bedeutet, die Zukunft nicht sich selbst zu überlassen.
In einer Welt, die vom Gefühl der Aussichtslosigkeit durchdrungen ist, wird Hoffnung zu einer moralischen Pflicht. Denn ohne sie verliert jede Bewegung ihren inneren Antrieb. Erinnern wir uns daran, dass selbst die dunkelsten Zeiten Teil eines größeren Lernprozesses sein können – einer Entwicklung, die auf mehr Einigkeit und Gerechtigkeit zielt.
So wie sich die Natur zyklisch erneuert, kann auch die Menschheit aus Phasen der Erschöpfung gestärkt hervorgehen. Die gegenwärtige Krise der Klimabewegung könnte eine solche Phase sein – ein Moment des Innehaltens, aus dem eine tiefere, reifere Form des Engagements erwächst.
Neue Wege des Engagements
Was also tun? Vielleicht braucht die Klimabewegung weniger Lautstärke und mehr Tiefe. Weniger moralische Empörung, mehr geistige Orientierung. Weniger Schuldzuweisung, mehr gemeinsames Lernen.
Eine internationale Konferenz, bei der es zum Beispiel um Status und Ansehen oder um Lob und Tadel geht, wird kaum zu nützlichen Einsichten führen, ganz gleich, wie viele Sitzungen dem Austausch von besten Praktiken und Erfahrungen gewidmet sind. Eine Lernhaltung erfordert auch Verständnis für die Rolle von Fehlern und Rückschlägen auf dem Pfad zum Fortschritt.
„Ein Planet, ein Lebensraum“, Internationale Baha'i-Gemeinde, New York, 2023, S.15
Eine solche Lernhaltung könnte sich an drei Grundgedanken orientieren:
Klimaschutz als geistig-spirituelle Aufgabe verstehen – als Ausdruck von Liebe zur Schöpfung und Verantwortung für das Ganze.
Zusammenarbeit über Grenzen hinweg fördern – zwischen Generationen, Kulturen, Religionen.
Den Menschen als Teil der Natur begreifen, nicht als jemanden, der über sie herrscht.
Diese Haltung kann der Bewegung neuen Atem geben und den Aktivismus in eine langfristige Kultur des Dienens – an dem Planeten Erde und an der Menschheit - verwandeln.
Die derzeitige Schwäche der Klimabewegung ist somit kein Scheitern, sondern ein Spiegel des Zustands der Gesellschaft: eine Phase der Ernüchterung, vielleicht notwendig, um tiefer zu verstehen, was auf dem Spiel steht. Der Planet ist mehr als der Ort einer Klimakrise – er ist unser gemeinsames Zuhause. Und vielleicht ist die wichtigste Aufgabe unserer Zeit nicht nur, ihn zu retten, sondern endlich zu begreifen, dass wir selbst Teil seiner Heilung sind und hierfür Zusammenarbeit und Verbundenheit die Grundlage des Handelns sind.
Ingo Hofmann studierte Physik in München und war über drei Jahrzehnte im Raum Darmstadt-Frankfurt in der Forschung und als Hochschullehrer tätig. Er ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Potsdam, Brandenburg.
Foto von Mika Baumeister auf Unsplash



