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  • AutorenbildPeter Gyulay

Ein Gott, kein Gott, viele Götter?


Gedanken eines Baha'i zu Hinduismus und Buddhismus


Im Mittelpunkt der Baha'i-Religion steht die Annahme, dass Offenbarungen von Gott kommen. Im Verlauf der Geschichte hat Gott der Welt Boten geschickt, um ihr einerseits grundlegende geistige Prinzipien und andererseits soziale Lehren passend zu jedem Zeitalter zu vermitteln. Wenn wir allerdings die Lehren unterschiedlicher Religionen vergleichen, scheinen sie oft unvereinbar zu sein.

Alles Erschaffene im ganzen All ist nur ein Tor zu Seiner Erkenntnis

Eine Ursache dafür mag darin liegen, dass selbst die tiefgründigsten geistigen Lektionen der Weltreligionen im Laufe der Zeit umgeschrieben oder missverstanden wurden. Eine weitere Ursache könnte in der unterschiedlichen Beschreibung dieser geistigen Prinzipien liegen, weil die Boten Gottes ihre Lehren den Menschen entsprechend ihrer jeweiligen Kultur und Zeit begreiflich machen wollten.


Zwei Religionen, die auf den ersten Blick in krassem Gegensatz zu monotheistischen Religionen stehen, sind der Hinduismus und der Buddhismus. Wie kann schließlich der Glaube an viele Götter und an keinen Gott vereinbar sein mit dem Glauben an einen Gott?


Dennoch werden sowohl Krishna als auch Buddha in der Baha'i-Religion als Manifestationen (oder Offenbarer oder Propheten) Gottes anerkannt. Warum?


Hinduismus


In einem Hindu-Tempel wird dich duftendes Räucherwerk begrüßen, Trommeln und Hörner werden erklingen und lebhafteste Farben dich betören. Je nach Tempel wirst du auch eine Fülle kunstvoll gestalteter Statuen sehen. Es heißt, es gäbe 33.333 verschiedener Hindu-Gottheiten.


Näher betrachtet kann man jedoch aus einem bestimmten Blickwinkel all' diesen Göttern zugrundeliegend Brahman erkennen, die Basis aller Wirklichkeit oder des Absoluten. In den Baha'i-Schriften wird diese Wirklichkeit „die unerforschliche Wesenheit“ genannt: Gott, der in Sich Selbst und über die Schöpfung hinaus Bestehende.


In vielen Schulen hinduistischer Lehrmeinung sind Gott, die Seele und das Universum eins. Die Baha'i-Lehren sehen das anders. Baha'u'llah, der Stifter und Offenbarer der Baha'i-Religion, betont, dass die Existenz Gottes über Seine Schöpfung hinausgeht:


Alles Erschaffene im ganzen All ist nur ein Tor zu Seiner Erkenntnis, ein Zeichen Seiner Herrschaft, eine Offenbarung Seiner Namen, ein Sinnbild Seiner Erhabenheit, ein Beweis Seiner Macht, ein Zugang zu Seinem geraden Pfad …
Baha'u'llah, Ährenlese

Während das Wesen Gottes für immer unser Begriffsvermögen übersteigt, können wir Seine Eigenschaften sehr wohl erfassen. Diese Eigenschaften werden von Seinen Manifestationen auf vollkommene Weise widergespiegelt, beispielsweise Güte, Liebe und Großmut. Indem wir dem von ihnen vorgezeichneten Weg folgen, können wir uns diese Eigenschaften erschließen und sie in uns selbst entwickeln.


Aber was hat das mit Hinduismus zu tun?


Eine mögliche Deutung des hinduistischen Götterreichtums ist, dass jeder dieser Götter für eine der vielen Eigenschaften Gottes steht. Vielleicht war diese Darstellungsweise zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt die beste, um den Menschen zu einem Verständnis Gottes zu verhelfen. Indem Gottes Eigenschaften personifiziert und damit greifbar gemacht wurden, konnten die Leute sie besser verstehen und sich dem Göttlichen annähern. Was manche als „Götzen“ bezeichnen mögen, mag anderen eine symbolische Manifestation göttlicher Eigenschaften bedeuten.


Buddhismus


Der Buddhismus wird oft als eine Religion ohne Gott angesehen, weshalb er in manchen Kreisen der modernen Gesellschaft recht populär geworden ist. Wenn wir aber in das Dhammapada (eine Auswahl aus Buddhas Aussprüchen) schauen, bezieht Buddha sich wiederholt auf die Götter:


Der 'Lernende auf dem Pfad' wird diese Welt durchdringen und dieses Reich des Todes mit all seinen Göttern. Der 'Lernende auf dem Pfad' wird den gelehrten Dhamma-Spruch aufspüren, wie der geschickte Blumenbinder die Blume.

Das zeigt, dass Buddha das hinduistische Glaubenssystem nicht vollständig ausmerzen wollte, ebenso wie Jesus nicht gekommen war, um das jüdische Gesetz abzuschaffen. Wie es in der Bibel heißt:


Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.

Der Buddhismus legt sicherlich großes Gewicht auf die Wandlung des Einzelnen. In der Verantwortung jedes Einzelnen liegt, die Illusionen des Lebens zu durchschauen und sich selbst zu läutern. Niemand kann dir das abnehmen. Dhammapada 104-105 besagt:


Besser sich selber besiegen als andere. Wenn ihr geübt seid und in ständiger Selbstbeherrschung lebt, könnte weder ein Deva noch Gandhabba, noch ein Mara gemeinsam mit Brahmas, diesen Sieg wieder in eine Niederlage verkehren.
Dhammapada, 104-105

Im Mahayana-Buddhismus ist die Befreiung aller Geschöpfe das Hauptziel. Dies muss freilich einhergehen mit der Erleuchtung des eigenen Selbstes. Der Stifter der Baha'i-Religion, Baha'u'llah, betont diesen Aspekt ebenso:


... entschließt euch durch die Kraft der göttlichen Macht, den Sieg über euer Selbst zu erringen, damit die ganze Welt aus ihrer Hörigkeit vor den Götzen ihrer leeren Einbildungen erlöst werde ...
Baha'u'llah, Ährenlese

Demnach wäre es irreführend, den Buddhismus als Religion ohne Gott zu bezeichnen. Der Buddhismus, so wie viele ihn kennen, befasst sich lediglich nicht mit der metaphysischen Frage der Existenz Gottes. Im Hinduismus gibt es eine Vielzahl von Gottesvorstellungen, die sich gegenseitig widersprechen. Möglicherweise beabsichtigte Buddha, diese Debatten zu umgehen und den Fokus auf die grundlegende Frage des Leidens und dessen Linderung zu lenken.


Vielleicht sagen ja deshalb einige, dass der Buddhismus überhaupt keine Religion ist, sondern eine Lebensweise. Die Baha'i sehen den buddhistischen Weg jedenfalls als einen religiösen an, weil Buddha in der Baha'i-Religion als Manifestation Gottes anerkannt wird.


Soweit meine persönliche Perspektive auf Hinduismus und Buddhismus. Da diese beiden Glaubenssysteme vor so langer Zeit ihren Anfang nahmen, können wir natürlich nicht sicher sagen, was Krishna und Buddha ursprünglich gelehrt haben. Aber wenn wir genau hinsehen, können wir viel Verbindendes zwischen ihnen entdecken.


 

Peter Gyulay ist leidenschaftlich engagiert für nachhaltiges Leben und die tieferen Aspekte des Lebens. Er hat einen Bachelor of Arts (mit Auszeichnung) in Philosophie sowie einen Master of Education und arbeitet in den Bereichen Bildung und philosophische Beratung. Er ist der Autor von "Walking the Mystical Path with Practical Feet: The Bahai Approach to Spiritual Transformation" und anderen Büchern und Artikeln. Mehr von Peter findet ihr hier: https://www.thinktalktransform.com/ und https://www.petergexpressions.com/


Dieser Artikel erschien im Original auf bahaiteachings.org und wurde von der Redaktion leicht editiert.


Photo generiert von GenAI




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