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  • AutorenbildMichael Goos

Wie ein zweiter Geburtstag

Operation am offenen Herzen


Im August letzten Jahres hörte mein Hausarzt beim Gesundheits-Check-up ein Geräusch an meinem Herzen. Eine Untersuchung beim Kardiologen brachte Gewissheit: Meine Aortenklappe hatte von Geburt an nur zwei Taschen, normal sind drei (ähnlich wie ein Mercedes-Stern). Durch die fehlende dritte Tasche verschleißt die Aortenklappe schneller; es hatten sich bereits eine Verengung (Stenose) und eine Erweiterung im Bereich der aufsteigenden Aorta gebildet. Das war ein Schock für mich. Ich hatte keine Symptome bemerkt und fühlte mich gesund.


Glaube spendet Kraft

Der Kardiologe sprach von einer Operation, aber für mich lag das in weiter Ferne. Das änderte sich schnell, als ich in diesem Frühjahr Symptome bekam. Manchmal wurde mir schwummerig beim Treppensteigen und es machte sich ein Engegefühl in der Brust bemerkbar. Eine kurzfristig angesetzte Herzkatheteruntersuchung bestätigte die verschlechterten Werte. Meine Aortenklappe öffnete sich nur noch mit 0,8 qcm, normal wären es 2,2 qcm. Ich wurde zur Operation ins UKSH Kiel einbestellt und erhielt einen Termin für Ende Juli.


Dass ich mich auf die Operation einstellen und berufliche Dinge regeln konnte, empfand ich als großes Glück. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Die Vorstellung, dass mein Brustbein aufgesägt und aufgebogen und dann auch noch Herz- und Atmungsfunktion von Maschinen übernommen werden mussten, ließ mich erschaudern. Aber es gab keinen anderen Weg. Ohne die Operation wäre mir noch eine Lebenserwartung von 2 – 5 Jahren geblieben.


Es braucht Überwindung, um zu solch einem Eingriff innerlich Ja sagen zu können. Gespräche mit der Familie und Freunden haben mir dabei geholfen. Als gläubiger Mensch habe ich meine Religion als Kraftquelle erlebt, die mir geholfen hat, meine Situation anzunehmen. Mit anderen Baha'i habe ich Texte zu den Themen Gesundheit und Heilen gelesen und dabei viel Zuspruch erfahren. Ich habe nicht mehr damit gehadert, dass mir so etwas passierte, sondern habe meine Aufgabe in dieser Krankheit gesucht – auch in spiritueller Hinsicht. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes gezwungen, alles aus der Hand zu legen und mein Leben dem Ärzteteam anzuvertrauen.


Aus der Fülle der Baha'i-Zitate über Krankheit und Heilung greife ich hier nur die heraus, die für mich in dieser Zeit besonders wichtig waren:


Bei Krankheit wendet euch an fähige Ärzte.

Baha'u'llah, Kitab-i-Aqdas


Versäume nie die ärztliche Behandlung, wenn sie erforderlich ist.

Es gibt zweierlei Mittel, Krankheiten zu heilen: stoffliche und geistige. Das erste ist ärztliche Behandlung, das zweite sind Gebete, die geistige Menschen an Gott richten, und Hinwendung zu Ihm. Beide Mittel sollten angewandt werden.

Am Aufnahmetag (Tag vor der OP) im UKSH verlief zunächst alles normal. Man wird Teil einer Maschinerie und routinemäßig durchgeschleust. Um 21 Uhr abends bekam ich jedoch überraschend Besuch von einer Ärztin, die sich als Teil des Operationsteam vorstellte. Sie hätte sich meinen Fall angesehen und wollte mit mir noch einmal über die Art der Klappe sprechen. Die hervorragende Beratung hat mir ein so gutes Gefühl gegeben, dass ich sogar schlafen konnte.


Am nächsten Morgen habe ich gebetet und war dann bereit. Die Narkose wurde schnell eingeleitet und zehn Stunden später wachte ich auf der Intensivstation auf. Durch den schweren Eingriff und die starke Narkose fühlt man sich zunächst völlig hilflos. Die Pflegekräfte sind großartig und tun wirklich alles, damit man wieder ins Leben kommt. Schon am nächsten Morgen half mir die Schwester auf eigene Füße. Das ist für die gestörte Selbstwahrnehmung ein elementarer Schritt. Die Beherztheit und große Menschlichkeit der Pflegekräfte auf der Intensivstation hat mich enorm beeindruckt und berührt. Ich blieb dort zwei Nächte und fühlte mich sicher.


Nachdem ich auf die Normalstation verlegt worden war, wurden allmählich die unterschiedlichen Anschlüsse entfernt und mir ging es von Tag zu Tag deutlich besser. Zum ersten Male in meinem erwachsenen Leben wurde ich von anderen gewaschen – auch dies mit Taktgefühl und Professionalität. Ich empfand Dankbarkeit für Dinge, die vorher selbstverständlich waren. Sich wieder selbst waschen zu können, später sogar zu duschen, am Tisch zu essen oder zivile Kleidung anzuziehen. Ich blieb sechs Tage auf der Normalstation und fühlte mich dort sehr gut betreut.


Einmal bekam ich Besuch von Baha'i-Freunden. Im „Raum der Stille“ des Hauses hielten wir eine kleine Andacht. Die Gebete haben mich sehr berührt. Vom Krankenhaus ging es nahtlos zur Reha nach Damp. Jeden Tag hatte ich etwas mehr Energie zur Verfügung und auch das erfüllte mich wieder mit tiefer Dankbarkeit.


Die vielen Zeichen von Freundschaft und Liebe sowohl von Seiten des medizinischen Personals als auch aus meinem persönlichen Umfeld haben mir sehr geholfen, diesen großen Einschnitt zu bewältigen. Mein Glaube spendet mir die nötige Kraft und unterstützt mich dabei, mit den veränderten Gefühlen und Gedanken zurechtzukommen. Das blendet die Angst nicht aus, aber es verhilft mir zu einem Gleichgewicht. Das Gefühl tiefer Dankbarkeit ist mir geblieben und ich hoffe, diese zuversichtliche Haltung in meinem zukünftigen Alltag bewahren zu können.


 

Michael Goos lebt im äußersten Norden Deutschlands an der dänischen Grenze, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er ist selbständig tätig als Berater im Lohnsteuerhilfeverein.


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