top of page
  • AutorenbildIngo Hofmann

Unsere Globale Zukunft – Sackgasse oder Aufbruch?

Auf der Klimakonferenz COP27 in Ägypten (6.-18. Nov 2022) herrschte weitgehend Einigkeit darüber – so kann es nicht weitergehen! Der Krieg in der Ukraine, die damit verbundene Energiekrise und die sich vertiefenden geopolitischen Gräben werfen einen düsteren Schatten auf die Zukunft, ebenso wie die schwindenden Aussichten, den Klimawandel noch rechtzeitig beherrschen zu können.



An dieser Stelle will ich nicht in fruchtlose Schuldzuweisungen einsteigen, sondern hinterfragen, wie wir den globalen Herausforderungen gerecht werden können, wenn wir sie nur aus der Perspektive des eigenen „Lagers“ sehen. Zumal die eigene Sichtweise ohnehin meist für überlegen und besser gehalten wird – für gut, gegen das Böse gerichtet (vgl. „Gesucht Weltfrieden“).


Rückblende auf die frühen 1990er Jahre: Nach dem Zerfall der Sowjetunion erzielten die Thesen des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama über einen weltweiten Sieg des „westlichen Modells“ ein breites Echo. Er sagte, die Menschheit werde ein neues, „goldenes“ Zeitalter erleben, in dem das Zusammenspiel von Kapitalismus, globalem Markt und freiheitlicher Demokratie ihre Bedürfnisse für alle Zukunft befriedigen werde. Diese Vision der Globalisierung gilt als gescheitert (vgl. „Krieg in Europa“). War die westliche, demokratisch geprägte Welt also realitätsblind?


Worüber reden wir?


Die Globalisierung, wie wir sie heute erleben, begann in der frühen Neuzeit und wurde im 19. Jahrhundert durch die Kolonialmächte intensiv vorangetrieben. Die Erschließung neuer Märkte und der Bedarf an Rohstoffen als Folgen der Industrialisierung führten dazu, dass diese Kolonialmächte weite Erdteile beherrschten und ausbeuteten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigte sich der Globalisierungsprozess durch vielfältige Entwicklungen in Politik und Wirtschaft sowie durch die Fortschritte in Wissenschaft, Kommunikation und Technik. Das Bild der Globalisierung wurde immer mehr durch unvorstellbare Gewinne beherrscht, die sich staatlicher Versteuerung entzogen. Dabei zeigten sich auch die zerstörerischen Auswirkungen des ungebremsten Wachstums, das auf Basis bestimmter Wirtschaftstheorien von vielen Seiten angeheizt wurde und zu maßlosem Konsum führte. Zwar wurde in einigen Weltregionen bis vor einigen Jahren auch Armut abgebaut, diese positive Entwicklung scheint sich derzeit aber wieder umzukehren.


Bereits in den 1980er Jahren warnte das oberste Leitungsgremium der Baha'i-Weltgemeinde vor den Hindernissen, die einer wirklichen Annäherung der Staaten im Wege stehen:

Die wissenschaftlich-technischen Fortschritte unseres ungewöhnlich gesegneten Jahrhunderts deuten auf einen gewaltigen Vorstoß in der gesellschaftlichen Entwicklung des Planeten und zeigen die Mittel auf, mit denen die praktischen Probleme der Menschheit gelöst werden können. Sie bieten in der Tat das Werkzeug zur Ordnung des vielschichtigen Lebens einer vereinten Welt. Doch es bestehen noch Barrieren. Zweifel, Missverständnisse, Vorurteile, Argwohn und engstirniger Eigennutz blockieren die Beziehungen der Staaten und Völker zueinander.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens

Diese Barrieren werden verstärkt durch den weit verbreiteten Glauben der Mensch sei unverbesserlich selbstsüchtig, aggressiv und deshalb unfähig, eine Gesellschaftsordnung zu errichten, die zugleich fortschrittlich und friedlich, dynamisch und harmonisch ist. (a. a. O. 1:7).


Die jüngste Entwicklung mit dem Krieg in der Ukraine und der Verschärfung einer weltweiten Energie- und Versorgungskrise wirft die Fragen auf: Ist die Globalisierung als ökonomisches Projekt multinationaler und transnationaler Konzerne an den Mängeln und Blockaden in den Beziehungen zwischen den Staaten gescheitert? Muss die Menschheit sich jetzt wieder auf mehr Misstrauen und Spaltung zwischen diversen neu entstehenden Blöcken einstellen? Ist eine verlässliche Friedensordnung grundsätzlich unmöglich? Oder geht es auch anders?


Die Vision eines dauerhaften Friedens

Es wundert mich nicht, dass immer weniger Menschen an die Chance einer verlässlichen Friedensordnung glauben, angesichts so vieler Kriege, Drohungen mit Atomwaffen und rasant steigender Rüstungsausgaben. Auf welcher Basis sollen die Gegner denn auch zueinander finden?


Bereits im späten 18. Jahrhundert, in der philosophischen Welt, hat sich Immanuel Kant in seinem Essay von 1795 „Zum ewigen Frieden“ damit auseinandergesetzt. Sicher haben ihn dazu auch die zahlreichen Kriege seiner Zeit angeregt, die alleine in Europa über 5 Millionen Soldaten das Leben kosteten. Kants Werk war durch die Aufklärung geprägt, eine geistig-philosophische Entwicklung, die darauf zielte, den Menschen von althergebrachten, starren und überholten Vorstellungen und Ideologien zu befreien. Die Vernunft sollte zu einer universellen, weltweit gültigen Urteilsinstanz werden.


Als ich vor langer Zeit Kants Gedanken hierzu begegnete, war ich tief beeindruckt, wie konkret er damals über die zeitliche Abfolge der Zukunft dachte. Nach seiner Vorstellung sollte „die vollkommene bürgerliche Vereinigung der Menschengattung“ (Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden) in einer föderalen Weltrepublik das Ziel sein. Dem vorausgehen sollte in einem ersten Schritt die Verwirklichung von Staatsbürgerrechten innerhalb eines Volkes. In einem zweiten Schritt soll ein Völkerrecht zwischen den Staaten etabliert werden und drittens ein Weltbürgerrecht, in dem alle „als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats“ (a. a. O.) ihre Rechte haben sollen.


Kant war seiner Zeit weit voraus, seine Gedanken zum Völkerrecht zwischen den Staaten flossen aber nach dem Ersten Weltkrieg in die Gründung des Völkerbunds ein. Der dritte Schritt in Richtung einer föderalen Weltrepublik, der mit der Gründung der Vereinten Nationen und ihrer „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zu erfolgen schien, wurde aber nie wirklich vollzogen. Die Erfahrungen mit den vielen Kriegen und menschenverachtenden politischen Systemen seither haben offenbar die Vision eines dauerhaften Friedens in die Schublade der Menschheitsutopien gesperrt.


Die Epoche der Aufklärung führte in Europa zu einer stark wachsenden Religionskritik. Die Kirchen sahen in Vernunft und Wissenschaft und allen daraus abgeleiteten Neuerungen eine gefährliche Konkurrenz und bangten um ihre Zukunft.


Es folgte eine Zeit der Unruhe und des Zerfalls religiöser Macht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mitten hinein verkündete Baha'u'llah, der Stifter der Baha'i-Religion, dass das Zeitalter des universalen Friedens für die ganze Menschheit angebrochen ist. Dauerhafter Frieden und Gerechtigkeit auf unserer Erde war etwas Neues in der Religionsgeschichte. Baha’u’llah wandte sich damit an Gläubige aller Religionen, aber auch an viele der damaligen religiösen und politischen Herrscher. Er rief sie auf, die damit verbundenen Herausforderungen rechtzeitig zu erkennen.


Seine Worte Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger(Baha'u'llah, Ährenlese) und Das Wohlergehen der Menschheit, ihr Friede und ihre Sicherheit sind unerreichbar, sofern nicht und ehe nicht ihre Einheit fest begründet ist. (Baha'u'llah, zitiert in: Die Verheißung des Weltfriedens) umschreiben die Grundgedanken einer weltweiten Friedensordnung. Sie bietet eine neue Identität. Nur geeint wird die Menschheit ausreichend handlungsfähig sein, um soziale Gerechtigkeit für alle und dauerhaften Frieden zu schaffen. „Einheit der Menschheit“ bedeutet hier sowohl ein Bewusstsein der Zugehörigkeit, die niemanden ausschließt, als auch die schrittweise Errichtung einer übergreifenden Weltordnung nach föderalem Prinzip – die ganze Menschheit ist als ein einziger „lebender Organismus“ anzusehen (vgl. „Gesucht: Weltfrieden).


Globale Handlungsfähigkeit


Mit der Devise „Global denken, lokal handeln“ erlangte die Agenda 21 weltweite Berühmtheit. Sie wurde 1992 bei der „Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen“ (UNCED) in Rio de Janeiro als weltweites Aktionsprogramm verkündet, das vor allem Städte und Gemeinden aufforderte, tätig zu werden. Umweltzerstörung hat demnach zwar globale Auswirkungen, Lösungen sollen aber vor Ort ansetzen, wo Menschen produzieren und konsumieren. Auf diese Weise sollten wir alle unsere persönliche Betroffenheit einbringen.


Doch obwohl nichts gegen einen lokalen Handlungsaufruf spricht, ist das nach heutigen Erkenntnissen völlig unzureichend. Im Fokus steht längst die Tatsache, dass jene Staaten, die als Hauptverursacher der Klimakrise gelten, sich nicht an ihre eigenen Versprechen halten und zulassen, dass die klimaschädlichen Emissionen zunehmen, statt abzunehmen. Führende Experten sagen voraus, dass sich die Klimaerwärmung mit ihren weltweit katastrophalen Folgen beschleunigen wird, wenn es bei der bisherigen „Strategie des guten Willens“ bleibt.


Die neue Devise zur Rettung der Erde vor der Klimaerwärmung – und gleichzeitig zur Lösung so vieler anderer Probleme – sollte daher meiner Ansicht nach lauten: „Global lenken, lokal lernen“. Lokal lernen wir, unser Leben umweltgerechter zu gestalten, beispielsweise auf umweltschädliche Produkte zu verzichten. Vor allem aber auch, uns in der Nachbarschaft für gute zwischenmenschliche Beziehungen, ein funktionierendes Zusammenleben und die Förderung eines zugehörigen Wertsystems zu engagieren. Global hat sich erwiesen, dass Regelungen innerhalb oder zwischen einzelnen Ländern und Freiwilligkeit nicht ausreichen. Ohne eine verbindliche Ordnung und Regeln funktioniert kein System auf die Dauer, schon gar nicht gerecht und gesund. Deshalb müssen auch auf der Ebene zwischen allen Staaten rechtswirksame Entscheidungen und die notwendigen koordinierenden Maßnahmen getroffen werden können.


Im Geiste der Baha'i-Lehren zu einer sozial gerechten und weltweit gültigen Neuordnung der Gesellschaft forderte die Internationalen Baha'i-Gemeinde (Baha'i-Vertretung bei der UNO) in der Vorbereitungsphase der UNCED (in Rio, s. o.) bereits 1991 eine „Internationale Gesetzgebung für Umwelt und Entwicklung“. Ohne eine Änderung des geltenden Rechts in globalen Strukturen bleiben die Ziele unerreichbar, wie wichtig sie auch sind. In dem gleichnamigen, richtungsweisenden Dokument heißt es:

Vor etwas mehr als hundert Jahren sprach Baha'u'llah in einer Reihe von Briefen an die damaligen Herrscher der Welt davon, dass für die Menschheit ein zeitgeschichtlicher Abschnitt beginnt, der für das Leben auf diesem Planeten eine radikale Neugliederung mit sich bringen wird. Herausforderungen, die zuvor niemandem in den Sinn kamen, werden, so sagte er, bald die Ressourcen selbst der fortgeschrittensten Nationen verschlingen. Ihnen könne nur mit einem Weltbundsystem begegnet werden, dessen Zentralorgan ein repräsentatives Weltparlament wäre, das die Macht hat, ein weltweit vereinbartes und durchsetzbares Recht zu schaffen.

Die Internationale Baha'i-Gemeinde erläutert dazu, dass die Umweltzerstörung mit ihren Langzeitfolgen unerbittlich zu einer Katastrophe entsetzlichen Ausmaßes für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung führen wird, sofern Maßnahmen zur Neugliederung der internationalen Ordnung ausbleiben. Sie ruft den Vorbereitungsausschuss der UNCED auf:

… dringend, kühne und kreative Ansätze zur Schaffung internationaler gesetzgebender Einrichtungen und Verfahrensweisen in Erwägung zu ziehen. Ohne ein Bild von der Zukunft ist keine wirkliche Veränderung möglich.
a. a. O.

Das „Bild von der Zukunft“, von dem hier die Rede ist, geht davon aus, dass es nur eine Menschheit gibt, deren unteilbares Recht auf Zukunft und Wohlergehen auf dem Spiel steht.


Vermutlich war dieser Appell in der Aufbruchstimmung der frühen 1990er Jahre seiner Zeit zu weit voraus, um angemessen beachtet zu werden. Heute trifft er jedoch den Kern unserer Probleme und viele derzeitige Bemühungen scheinen in diese Richtung zu gehen.


Da die Abwendung einer Klimakatastrophe im gemeinsamen Interesse aller Staaten liegt, da wir also alle „im gleichen Boot sitzen“, sollten derartige „kühne und kreative Ansätze“ für eine global gültige Neuordnung meiner Überzeugung nach als wirkliche Chance zum „globalen Lenken“ genutzt werden. Sie können zugleich den Weg ebnen und das Vertrauen schaffen für eine echte weltweite Abrüstung, für Friedenssicherung sowie für eine soziale Gerechtigkeit, die wie das Klima längst globale Menschheitsangelegenheiten sind.


 

Ingo Hofmann studierte Physik in München und war über drei Jahrzehnte im Raum Darmstadt-Frankfurt in der Forschung und als Hochschullehrer tätig. Er ist Vater von vier Kindern und lebt seit einigen Jahren in Potsdam, Brandenburg.


Photo von Giulia Martinelli auf Behance

bottom of page