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  • AutorenbildArthur Lyon Dahl, Ph.D.

Wie realistisch ist eine „grüne“ globale Wirtschaft?

Ein begrenztes System kann nicht ewig wachsen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass alle Systeme ihre eigenen Grenzen haben – sie zu überschreiten führt zum Zusammenbruch. Doch obwohl wir uns mit dem Glauben an ewiges Wirtschaftswachstum von einem Märchen abhängig gemacht haben, sollten wir uns nicht von düsteren Prognosen entmutigen lassen.


Die Erde ist ein begrenztes System

Viele Menschen suchen nach Lösungen und machen dabei Fortschritte. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen gibt es ermutigende Bestrebungen. Wir alle wissen: Ein „Weiter so!“ ist keine realistische Option mehr, stattdessen sind Visionen und Innovationen erforderlich.


Eine Dimension des zukünftigen Weges kann in der Entwicklung einer ökologischen, „grünen“ Wirtschaft bestehen, die Ökosysteme als Rückgrat des wirtschaftlichen Erfolges und sozialen Wohlbefindens wiederherstellt und bewahrt. Ein solch nachhaltiges Wirtschaftsmodell ist auch wesentlich für die Armutsbekämpfung, wird neue Industrien hervorbringen und Arbeitsplätze schaffen: Umweltgerechte Industrien, die saubere, effiziente Technologien nutzen, können zusammen mit einer nachhaltigen Landwirtschaft den allgemeinen Wohlstand sichern.


Das Ziel ist eine „Win-Win“-Lösung für alle Seiten, für die Wirtschaft, das menschliche Wohlergehen und die Umwelt.


Bereits beim UNO-Gipfel in Rio 2012 war dies eines der Hauptthemen des UN-Umweltprogramms UNEP, das dabei folgende Bereiche als wichtigste Bestandteile einer ökologischen, „grünen“ Wirtschaft festgelegt hat: Saubere und effiziente Technologien, darunter auch im ländlichen Raum zugängliche erneuerbare Energien; eine auf Biodiversität beruhende Wirtschaft einschließlich Land-, See- und Forstwirtschaft sowie Tourismus, mit dazugehöriger Infrastruktur; eine Abfallwirtschaft mit Abfallverminderung und Recycling, auch für Chemikalien; Städte und Verkehr mit geringem CO2-Ausstoß.


Wir brauchen eine nie dagewesene Zusammenarbeit vieler Interessengruppen, um die Herausforderungen des Klimaschutzes und der Wirtschaft miteinander zu verbinden. Weltweit wünschen Menschen sich wirtschaftliche, Klima-, Energie-, Nahrungsmittel- und Wassersicherheit sowie einen Ausgleich zwischen Arm und Reich durch verbesserte Kapital- und Technologieströme. Maßnahmen zur Verminderung kohlenstoffhaltiger Emissionen können all dies ebenfalls fördern.


Namhafte Experten sind davon überzeugt, dass eine auf erneuerbaren Energien beruhende Wirtschaft zu besserem Wachstum mit mehr Beschäftigung und einem größeren Bruttosozialprodukt führen würde, als die bisherige auf fossilen Brennstoffen basierende. Eine derartige „New Climate Economy“ könnte zugleich Schutz vor dem Klimawandel bieten, so dass aus wirtschaftlicher Sicht nichts gegen eine schnelle Energiewende sprechen würde.


Trotzdem legen die meisten Anstrengungen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise immer noch den Schwerpunkt auf Konsumankurbelung und Unterstützung bestimmter Wirtschaftszweige wie der Automobilindustrie, in der Hoffnung auf Rückkehr zur konsumorientierten Wirtschaft, während in grünere Alternativen nur wenig investiert wird.


Doch warum ist das so? Zu viele Interessengruppen wollen den Status quo, also den gegenwärtigen Zustand schützen.


Der Status quo birgt die Gefahr, dass die ökologische Wirtschaft nur zu Konsum unter anderem Namen führt, während in Wirklichkeit eine Konsumverringerung notwendig ist. Die Debatte darüber, wie der Konsum eingeschränkt werden kann, findet nur am Rande statt, und der Widerstand dagegen ist groß. Außerdem stehen alle entsprechenden Vorschläge noch unter dem Leitbild des nicht-nachhaltigen, unendlichen Wirtschaftswachstums – obwohl doch in einem begrenzten System das grenzenlose Wachstum unmöglich ist. Die Konsumgesellschaft ist weit über vertretbare Grenzen hinaus entwickelt, quasi „überzüchtet“, und die Kosten für fehlende Nachhaltigkeit steigen. Manche fordern deshalb eine Wachstumsrücknahme oder Wachstumswende für wohlhabende Länder.


Nach Aussagen der Baha'i-Lehren braucht die Welt ein neues Wirtschaftsmodell, das auch Wert auf die geistigen und sozialen Entwicklungsaspekte legt, nicht nur auf die materiellen:


Das Wirtschaftsleben ist ein Schauplatz, wo Ehrlichkeit, Integrität, Vertrauenswürdigkeit, Großzügigkeit und andere geistige Eigenschaften zum Ausdruck kommen sollen. Das Individuum ist nicht einfach nur ein eigennütziges Wirtschaftssubjekt, darauf bedacht, einen immer größeren Anteil an den materiellen Ressourcen der Welt für sich in Anspruch zu nehmen. „Des Menschen Vorzug liegt im Dienst und in der Tugend“, betont Baha'u'llah, „nicht im Prunk des Wohllebens und des Reichtums.“
Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Zum Wirtschaftsleben

Das Löschen eines großen Feuers erfordert die konzertierte Aktion vieler Akteure und eine wirkungsvolle Steuerung in einem Umfang, der der Größe des Problems entspricht. Die heutige globalisierte Wirtschaft wird immer noch von Management-Mechanismen verwaltet, die für nationale Systeme entworfen wurden. Wie sich an der langsamen internationalen Reaktion auf den Klimawandel zeigt, fällt es jedoch Regierungssystemen, die auf nationaler Souveränität beruhen, sehr schwer, zielführende Lösungen für globale Probleme zu finden.


Daher ist ein wohldurchdachtes, von der globalen über nationale bis auf lokale Ebenen verzweigtes Regierungssystem vonnöten, damit Entscheidungs- und Handlungsbefugnisse nahe beieinander liegen und den weltweit so vielfältigen Herausforderungen auf innovative Weise begegnet werden kann, die der jeweiligen Situation auch vor Ort gerecht wird. Wir brauchen auf allen Problemebenen des globalen Wandels effektiv arbeitende Regierungsinstitutionen.


Weitreichende Kreise werden heutzutage von einem starken Vorurteil gegen eine Weltregierung beherrscht, sei es aus einer generellen Skepsis gegenüber jeglicher Regierung oder einer Angst vor zu hoher Machtfülle in den Händen einer zentralistischen Weltregierung. Gleichwohl bildet eine gut funktionierende Regierung ein wesentliches Element jeder zivilisierten Gesellschaft. Sogar Wirtschaftskreise erkennen dies an. Die Europäische Union hat ein Beispiel gesetzt, indem ihre Institutionen die der nationalen Regierungen ergänzen. Trotz aller Unzulänglichkeiten ist dieses Beispiel bei den Überlegungen, wie mit dem globalen Wandel umgegangen werden kann, bedenkenswert.


Verschiedene Finanzkrisen und ihre Nachwirkungen haben bewiesen, wie dringend wir eines Systems bedürfen, das die Problemlösungen auf allen Ebenen koordiniert und integriert. Wissenschaft und Technologie haben dazu geführt, dass Informationsaustausch, Geldwirtschaft, Handel und die Auswirkungen von Migration und Umweltveränderungen zu Herausforderungen für die ganze Welt werden. Sie beeinflussen sich gegenseitig, deshalb muss auch alles in all seiner Komplexität zusammen verstanden werden. Aber unsere Gesellschaftsstruktur ist nicht auf den Umgang mit so vielschichtigen globalen Problemen vorbereitet.


Wir müssen daher das dieser Struktur zugrunde liegende Muster oder Paradigma ändern. Die Baha'i-Lehren listen dazu eine Reihe grundlegender Prinzipien auf. Grundlegend dabei ist die Gleichwertigkeit aller Menschen sowie die Perspektive, dass wir alle Bürger dieser einen Welt sind, die ihrer Entwicklung gemäß Schritt für Schritt weltumspannende Strukturen benötigt. Sie zeigen Wege auf, wie koordinierte Lösungen von der lokalen bis zur globalen Ebene in einem weltweit bundesstaatlich organisierten Regierungssystem gefunden werden können. Ein derartiges globales, aber dennoch föderales System würde einen Mittelweg bilden zwischen dem gegenwärtigen System souveräner Nationalstaaten und einem Misstrauen erweckenden zentralistischen Weltstaat.


Die Gefahren und Risiken sowie die notwendigen Einschränkungen, die der globale Wandel für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt, müssen realistisch eingeschätzt werden. Die positive Zukunftsperspektive einer föderal geeinten Welt erweckt Hoffnung und den Wunsch zum Handeln:


Baha'u'llahs Erklärung lautet: „Die Erde ist nur ein Land und alle Menschen sind seine Bürger.“ Der Gedanke der Weltbürgerschaft ist das unmittelbare Ergebnis davon, dass die Welt durch den wissenschaftlichen Fortschritt und die unbestreitbare wechselseitige Abhängigkeit der Staaten auf eine einzige Nachbarschaft geschrumpft ist. Die Liebe zu allen Völkern der Welt schließt die Liebe zum eigenen Land nicht aus. In der Weltgesellschaft wird der Nutzen eines Teils am besten dadurch gewahrt, dass der Nutzen des Ganzen gefördert wird.
Das Universale Haus der Gerechtigkeit, Die Verheißung des Weltfriedens

 

Arthur Lyon Dahl Ph.D., ist der Präsident des „International Environment Forum“ in Genf, Schweiz


Dieser Artikel erschien im Original auf BahaiTeachings.org. Die deutsche Fassung wurde mit Zustimmung des Autors redaktionell überarbeitet.

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